Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P168
DOI: 10.1055/s-0033-1337309

Neue Einsichten in die zerebrale Hämodynamik nach ACI-Verschluss

O Hensel 1, T Müller 1
  • 1Universität Halle, Halle (Saale), Deutschland

Fragestellung:

Die Umstellung der zerebralen Hämodynamik nach Verschluss der A. carotis interna (ACI) soll im Verlauf charakterisiert werden.

Methoden:

57-jähriger Mann mit seit 3 Monaten rezidivierenden zerebralen Ischämien zeigt im cMRT einen hinteren Grenzzoneninfarkt rechts. Ursächlich ist ein Verschluss der ACI rechts anzunehmen (duplexsonographisch und MR-angiographisch gesichert). In sonographischen Verlaufsuntersuchungen wurden folgende Parameter bestimmt:

  • die zerebralen Kollateralen,1

  • der zerebrale Blutfluss (CBF),2

  • bilateral die CO2-Reservekapazität (Bild A) und der diastolische Flussanteil (DFA, Bild B) in der A. cerebri media (ACM) nach Carbogen®.

Ergebnisse:

Durch Kollateralenumbau nimmt der Kollateralfluss mit der Zeit über die A. ophthalmica ab und über die A. communicans posterior zu (Tabelle). Trotz Verschluss der rechten ACI ist der zerebrale Blutfluss normal und ändert sich im Verlauf kaum (Bild C). Infolge des ACI-Verschlusses ist initial die CO2-Reservekapazität vermindert und der diastolische Flussanteil erhöht (Bild D). Die Kombination hoher zerebraler Blutfluss mit Steal-Phänomen (= negative CO2-Reservekapazität bzw. Robin-Hood-Phänomen) wurde bisher als Luxusperfusion interpretiert.5 In der zweiten Untersuchung (06.06.2011) steigt die Flussgeschwindigkeit unter Carbogen-Inhalation zuerst an (Bild A, roter Pfeil), um am Ende wieder knapp unter die Ausgangsgeschwindigkeit zu sinken. Der diastolische Flussanteil steigt während der Carbogen-Inhalation stetig an (Bild B).

In der dritten Untersuchung (06.09.2011) normalisieren sich die CO2-Reservekapazität und der diastolische Flussanteil (Bilder C, D). Im folgenden Jahr kommt es zu keinem neuen Schlaganfall.

Schlussfolgerungen:

  • Ein ACI-Verschluss kann vollständig durch einen erhöhen diastolischen Flussanteil kompensiert werden, der zerebrale Blutfluss kann normal bleiben.

  • Trotz Abfall des diastolischen Flussanteil im Verlauf bleibt der Blutfluss hoch (Bild B), dies könnte durch den Ausbau der Kollateralen bewirkt werden.

  • Der Ausbau bewirkt bei diesen Patienten, dass der Blutfluss über die sekundären Kollateralen sinkt und über die primären Kollateralen steigt.

  • Die intrakranialen Kollateralen wirken als Ausgleicher, sodass sich nach ACI-Verschluss die Hämodynamik des gesamten Gehirns umstellt.

  • Ein Steal-Phänomen bedeutet nicht immer eine erschöpfte Perfusionsreserve bzw. maximal dilatierte Widerstandsgefäße.

  • Die Änderung des diastolischen Flussanteils im Verlauf bzw. die genaue Analyse der Flussgeschwindigkeiten unter Carbogen® spielen bei der Bewertung der zerebralen Hämodynamik eine wichtige Rolle.

Referenzen:

1. Alexandrov, A. V., ed., "Cerebrovascular ultrasound in stroke prevention and treatment", Wiley-Blackwell (2004).

2. Ho, S. S. Y. and Metreweli, C. and Yu, C. H., "Color velocity imaging quantification in the detection of intracranial collateral flow", Stroke; a journal of cerebral circulation (2002), 1795 – 1798.

3. Widder., B. Doppler- und Duplexsonografie der hirnversorgenden Arterien. Springer, Berlin, 6., erw. und vollständig bearb edition, 2004.

4. Gooskens, E. A. Schmidt M. Czosnyka K. Piechnik P. Smielewski, "Pressure-autoregulation, CO2 reactivity and asymmetry of haemodynamic parameters in patients with carotid artery stenotic disease. A clinical appraisal", Acta neurochirurgica (2003), 527 – 532.

5. Sharma, K. Teoh, H. L. Paliwal, P. R. Chong, V. F. Chan, B.P.L and Sinha, A. K. "Reversed robin hood syndrome in a patient with luxury perfusion after acute ischemic stroke." Circulation, 123(7):e2434, 2011.