Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P136
DOI: 10.1055/s-0033-1337277

EEG und NIRS bei der bewussten Verzögerung motorischer Reaktionen: Untersuchung an Gesunden und Patienten mit psychischen Gesundheitsstörungen

PH Ackermann 1, 2, 3, BCJ Liske 1, C Frischholz 2, A Stevens 3, AJ Fallgatter 1
  • 1Patricia H. Ackermann, Benjamin C. J. Liske & Andreas J. Fallgatter: Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Abt. Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie mit Poliklinik, Tübingen, Deutschland
  • 2Christian Frischholz & Ulf Ziemann: Universitätsklinikum Tübingen, Abt. Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen und Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, Tübingen, Deutschland
  • 3Andreas Stevens: Medizinisches Begutachtungsinstitut Tübingen, Tübingen, Deutschland

Einleitung:

Ein Problem bei Untersuchungen im entschädigungsrelevanten Kontext ist die Prüfung auf Aggravation von Beschwerden und Defiziten. Die Prävalenz der Beschwerdeaggravation ist gut untersucht und wird mit 18% bis 40% angegeben (Axelrod et al., 2000; Binder, 1993; Mittenberg et al., 2002). In früheren Arbeiten wurden Unterschiede in den N2/N3-Komponenten der ERP bei Tastendruck gefunden, je nachdem ob ein Go- oder No-Go-Paradigma verwendet wurde (Roche et al., 2005). Aktuell werden die ERP und Aktivierungsmuster in der NIRS bei bewusster Verzögerung von einfachen motorischen Reaktionen unter visueller Stimulation an gesunden Probanden und Patienten mit psychischen Gesundheitsstörungen untersucht. Ziel der Studie ist es, zu evaluieren, inwieweit eine bewusste Verzögerung motorischer Reaktionen mit charakteristischen ERP und Aktivierungsmustern in der NIRS assoziiert ist.

Material/Methode:

Neben einer NIRS im Event- und Blockdesign (bifrontal, rechts parietal) wurden bei bisher 30 Gesunden und Patienten mit depressiven Erkrankungen ERP aus dem EEG durch Mittelung nach visuellem Stimulus gewonnen. Die Probanden wurden in Bedingung I instruiert, schnellstmöglich auf den Reiz mit Tastendruck zu reagieren. In Bedingung II sollte die Antwort nach Stimulus kurz bewusst verzögert werden. Neben der Reaktionszeit wurden die ERP nach dem 10 – 20-System abgeleitet. Die Signalanalysen richteten sich auf Latenzen, Amplituden und topographische Verteilung der VEP, ERP und LRP. Die Mittelwerte wurden zwischen den Bedingungen I und II verglichen. Neben einer Stimulustriggerung erfolgte eine Triggerung nach motorischer Antwort.

Ergebnisse:

Die bisherigen Auswertungen ergaben folgendes: Die Reaktionszeiten waren in Bedingung I signifikant, die Varianz der Reaktionszeiten war in Bedingung II erheblich erhöht. Die stimuluskorrelierten Analysen ergaben, dass sich VEP und N2 der ERP innerhalb der Bedingungen nicht unterscheiden. Die LRP zeigten hinsichtlich Latenz und Potenzialform signifikante Unterschiede zwischen den Bedingungen I und II. Bei Triggerung nach motorischer Antwort, zeigten die LRP eine reduzierte Amplitude in Bedingung I. Die Untersuchungen an o.g. Patienten zeigten ähnliche Ergebnisse, weisen zum jetzigen Studienzeitpunkt aber nicht darauf hin, dass sich wesentliche Unterschiede in Reaktionszeiten, ERP und LRP im Vergleich zu Gesunden zeigen.

Diskussion:

Die Ergebnisse legen nahe, dass manche ERP Abbild der sensorischen Signalverarbeitung sind, unabhängig von einer motorischen Reaktion. Dahingegen waren die LRP von der motorischen Antwort abhängig, in Bedingung I traten sie zudem zeitlich fest nach dem Stimulus auf. Bei künstlicher Reaktionsverzögerung waren die LRP vom Stimulus entkoppelt und nur noch reaktionsgetriggert zu finden. Die Ergebnisse bei Untersuchung der psychiatrischen Patienten waren statistisch bisher nicht signifikant, für aussagekräftige Gruppenvergleiche sind weitere Untersuchungen erforderlich und geplant. Wenn eine Reproduzierbarkeit auch an Patienten mit umschriebenen Hirnschädigungen gelingt, stünde ein Paradigma zur Reaktionszeitvalidierung zur Verfügung.