Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P128
DOI: 10.1055/s-0033-1337269

Unwillkürliche Ablenkung der Aufmerksamkeit durch Abweichungen in sprachlichen und tonalen akustischen Reizen

M Reiche 1, G Hartwigsen 2, A Widmann 1, D Saur 2, E Schröger 1, A Bendixen 1
  • 1Universität Leipzig, Institut für Psychologie, Leipzig, Deutschland
  • 2Universität Leipzig, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Leipzig, Deutschland

Einleitung:

Aufgabenirrelevante akustische Reize können unsere Aufmerksamkeit unwillkürlich ablenken. In bisherigen Studien [1,2] konnten auditive Distraktionsprozesse anhand von behavioralen (Anstieg in Reaktionszeiten und Fehlerraten) und elektrophysiologischen (ΔN1/Mismatch Negativity, P3a) Parametern gemessen werden. Die Art des Distraktors und sein Zusammenhang zum aufgabenrelevanten Material können sich hierbei auf das Ausmaß der Distraktion auswirken. Dabei könnten sich unter anderem Unterschiede in der Detektion von Abweichungen innerhalb sprachlicher und nichtsprachlicher akustischer Reize [3] in Distraktionsprozessen niederschlagen. Die vorliegende Studie vergleicht systematisch (a) identische sprachliche Reizen mit linguistischen vs. tonalen Distraktoren und (b) identische Distraktoren in sprachlichen vs. tonalen Reizen.

Methoden:

In einem „2-alternative forced-choice“ Paradigma wurden zweisilbige Pseudowörter und Sinustöne präsentiert. Gesunde Versuchspersonen wurden aufgefordert, die Länge der Sinustöne und die Phoneme der zweiten Silbe der Pseudowörter zu unterscheiden. In drei Bedingungen konnten seltene, aufgabenirrelevante Abweichungen (1) der Tonhöhe in Sinustönen und (2) der Tonhöhe der ersten Silbe der Pseudowörter oder (3) des Phonems in der ersten Silbe der Pseudowörter auftreten. Es wurden Fehlerraten, Reaktionszeiten und ereigniskorrelierte Potentiale (EKPs) mittels EEG gemessen.

Ergebnisse:

Abweichungsrelatierte EKP-Komponenten (ΔN1, MMN) treten in allen Bedingungen auf, jedoch mit unterschiedlicher topographischer Verteilung. Die aufmerksamkeitsrelatierte P3a-Komponente ähnelte sich in allen Bedingungen und wurde von Distraktionseffekten auf Verhaltensebene begleitet. Es wurden jedoch kleinere Verhaltenseffekte sowie eine verlängerte MMN-P3a-Latenz für Tonhöhenabweichungen in der Pseudowortbedingung gefunden.

Diskussion:

Die topographischen Unterschiede der ΔN1/MMN zwischen den Bedingungen zeigen, dass auditive Devianzdetektion zum Teil abweichungsspezifisch stattfindet, also von der Art der Devianz abhängig ist. Phonemabweichungen in Phonemdiskriminationsaufgaben lösen stärkere Distraktionseffekte aus als Tonhöhenunterschiede, da diese schlechter vom aufgabenrelevanten Material zu trennen sind. Die Befunde zur P3a und den behavioralen Daten weisen darauf hin, dass Ähnlichkeit bzw. Trennbarkeit von aufgabenrelevanten und -irrelevanten Informationen eine entscheidende Determinante für das Ausmaß von Distraktion ist.

Literatur:

[1] Escera, C., Alho, K., Winkler, I., Näätänen, R., 1998. Neural mechanisms of involuntary attention to acoustic novelty and change. J. Cognitive Neurosci. 10, 590 – 604.

[2] Schröger, E., Wolff, C., 1998. Behavioral and electrophysiological effects of task-irrelevant sound change: A new distraction paradigm. Cogn. Brain Res. 7, 71 – 87.

[3] Tampas, J.W., Harkrider, A.W., Hedrick, M.S., 2005. Neurophysiological indices of speech and nonspeech stimulus processing. J. Speech Lang. Hear. Res. 48, 1147 – 1164.