Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P126
DOI: 10.1055/s-0033-1337267

Der Einfluss der Hysterese auf Entscheidungen bei taktiler Wahrnehmung

S Thiel 1, 2, S Bitzer 1, T Nierhaus 1, C Kalberlah 1, S Preusser 1, J Neumann 1, 3, V Nikulin 4, E van der Meer 2, 5, A Villringer 1, 3, 5, 6, 7, B Pleger 1, 3, 6
  • 1Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig, Deutschland
  • 2Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät II, Institut für Psychologie, Humboldt-Universität zu Berlin, Kognitive Psychologie, Berlin, Deutschland
  • 3Universitätsmedizin Leipzig, IFB Adipositas Erkrankungen, Leipzig, Deutschland
  • 4Neurophysics Group, Department of Neurology and Clinical Neurophysiology, Charité, Berlin, Deutschland
  • 5Berlin School of Mind and Brain, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland
  • 6Tagesklinik für kognitive Neurologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • 7Centrum für Schlaganfallforschung Berlin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

Die Wahrnehmung eines Reizes wird selten durch seine Eigenschaften alleine bestimmt. Sie ist vielmehr ein effizienter, dynamischer Prozess, der die eingehende sensorische Information mit bereits bestehender Information verknüpft. Dies kann auf der Grundlage des Entscheidungsprozesses zu einem kurzzeitig vorangegangenen Stimulus erfolgen, der somit die Entscheidung zu einem nachfolgenden Stimulus prägt. Dieser Effekt ist als perzeptuelle Hysterese bekannt. In dieser Studie wurde der Einfluss der perzeptuellen Hysterese auf Entscheidungen bei taktiler Wahrnehmung untersucht.

Hierzu wurde die Zwei-Punkte-Diskriminationsleistung von 26 Probanden getestet: Nach Stimulation der Fingerbeere des rechten Zeigefingers mit zwei Stiften in verschiedenen Abständen (0,7 mm, 1,0 mm, ..., 2,5 mm) sollten die Probanden entscheiden, ob sie einen oder zwei Stifte gefühlt haben. Dabei wurden die verschiedenen Stiftabstände in einem bezüglich ihrer Abfolge (1) vollständig ausbalancierten Design und (2) in einem restriktiven Design, in dem sich sukzessiv präsentierte Stimuli mindestens um 0,6 mm unterschieden, dargeboten. Die perzeptuelle Hysterese (d.h. der Einfluss der vorangegangenen auf die nächstfolgende Entscheidung) wurde mittels der bedingten Wahrscheinlichkeit berechnet. Das Ausmaß des Einflusses auf die Entscheidungsfindung durch eine vorangegangene Entscheidung einerseits sowie die tatsächliche physikalische Eigenschaft eines applizierten Stimulus (Stiftabstand) andererseits wurde anhand der Varianzaufklärung erfasst.

Die Ergebnisse zeigen, dass die perzeptuelle Hysterese die taktilen Entscheidungen in Abhängigkeit der Diskriminationsschwierigkeit mit einem signifikanten Effekt an der Wahrnehmungsschwelle (Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test: z =-2,58, p ≤0,05) beeinflusst. Ein höherer Kontrast zwischen sukzessiv dargebotenen Stimuli (Paradigma 2) zeigt nur eine geringe Wirkung auf diesen Effekt. Die Korrelation der erklärten Varianz durch die vorhergehende Entscheidung und der durch die Eigenschaft des Stimulus zeigt, dass die Hysterese genau dann den größten Einfluss auf die Entscheidung hat, wenn der Stimuluseigenschaft der geringste Einfluss zukommt (Pearson Korrelation: r(24)=-0,53, p ≤0,01, siehe Abbildung). Zudem zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der Hysterese und der individuellen Konsistenz im Entscheidungsverhalten: umso weniger ein Proband die Stimuli eindeutig zuordnen konnte (d.h. geringer Anstieg der psychometrischen Kurve), desto mehr der Varianz wird durch die Hysterese erklärt (Pearson Korrelation: r(24)=-0,46, p ≤0,05). Unsere Ergebnisse zeigen, dass perzeptuelle Hysterese einen robusten Einfluss auf taktil-räumliche Entscheidungen hat. Dieser Einfluss ist von besonderer Bedeutung, wenn ein dargebotener Stimulus schwellennah und damit eine Entscheidung allein auf Basis der eingehenden sensorischen Information unsicher ist.