Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P123
DOI: 10.1055/s-0033-1337264

Zur Sonderstellung der Eigennamen: Eine Reaktionszeitstudie bei Patienten mit Broca-Aphasie

C Geukes 1, HM Müller 1
  • 1Universität Bielefeld, Experimentelle Neurolinguistik, Bielefeld, Deutschland

Innerhalb der Gruppe der konkreten Nomen nehmen Eigennamen (EN) eine Sonderstellung ein, die sprachphilosophisch und grammatiktheoretisch begründet ist. Empirische Untersuchungen werden im Rahmen psycho- und neurolinguistischer Studien durchgeführt, um die neurokognitive Realität dieser Sonderstellung der EN zu untersuchen. Beispielsweise evozieren EN im Vergleich zu konkreten Nomen (KN) andere ERP-Verläufe mit einem höheren rechtshemisphärischen Anteil [1, 2] und in semantischen Entscheidungsaufgaben wird auf EN schneller reagiert als auf KN. Auch in der Aphasiologie existieren Läsionsstudien, die Zugriffsstörungen auf EN nach Schäden der rechten Hemisphäre beschreiben [3, 4].

Um eine rechtshemisphärische Beteiligung bei der Verarbeitung von EN zu überprüfen, testeten wir 12 Patienten mit linkshemisphärischer Schädigung (LHP; Broca-Aphasiker; Klassifikation durch Aachener Aphasie Test) sowie eine sprachgesunde Kontrollgruppe in einem Reaktionszeitexperiment. Alle Versuchsteilnehmer waren Rechtshänder zwischen 49 und 89 Jahren (Ø= 69,7). Das Experiment bestand aus zwei Teilen: 1. Generelle Reaktionszeit: Hier wurde die Reaktionszeit auf einfache Stimuli (Töne) gemessen, um mögliche Beeinträchtigungen der LHP festzustellen. Es zeigte sich eine generell verlangsamte Reaktionszeit der LHP (LHP: 478,1 ms; Kontrolle: 280,2 ms). 2. Lexikalische Entscheidungsaufgabe: getestet wurden die Reaktionszeiten auf insgesamt 165, zweisilbige, akustische Stimuli (25 EN, 50 KN, 42 Pseudowörter, 48 Distraktoren), wobei die Versuchsteilnehmer durch Tastendruck mit dem linken Zeigefinger auf reale Wörter reagieren sollten (keine Reaktion auf Pseudowörter). Die LHP reagierten, genauso wie eine Kontrollgruppe, signifikant schneller auf EN als auf KN (EN: 926,9 ms; KN: 999,3 ms). Die LHP reagierten annähernd so schnell auf EN wie eine Kontrollgruppe (LHP: 977,6 ms; Kontrolle: 876,2 ms). Bei der Reaktion auf KN reagierten die LHP, wie erwartet, signifikant langsamer als eine Kontrollgruppe (LHP: 1079,4 ms, Kontrolle: 919,2 ms).

Im Vergleich zur Kontrollgruppe weisen die LHP, trotz Schädigung der sprachdominanten Hemisphäre, eine geringere Störung in der Verarbeitung von EN auf, als in der Verarbeitung von KN. Aufgrund dieser Ergebnisse diskutieren wir eine mögliche selektive Beteiligung der gesunden rechten Hemisphäre ausschließlich bei der Verarbeitung von EN, was perspektivisch für die sprachtherapeutische Praxis von Nutzen sein könnte. Beispielsweise könnten modalitätenspezifische Therapieansätze, die auf der Basis von S-V-O-Strukturen aufgebaut sind (z.B. MODAK [5]) bei schweren Störungen der Sprache durch eine EN-V-O-Struktur ersetzt werden.

Literatur:

[1] Müller, H.M. & Kutas, M. (1997). In: G. Rickheit (Hrsg.). Studien zur klinischen Linguistik. Modelle, Methoden, Intervention. Opladen: Westdeutscher Verlag, pp. 147 – 169.

[2] Weiss, S. & Müller, H.M. (2003). Brain & Language 85: 325 – 343.

[3] Yasuda, K. & Ono, Y. (1998). Brain & Language 61: 274 – 287.

[4] Ohnesorge, C. & Van Lancker, D. (2001). Brain & Language 77: 135 – 165.

[5] Lutz, L. (2009). MODAK-Modalitätenaktivierung in der Aphasietherapie. 2. Aufl. Heidelberg: Springer.