Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P120
DOI: 10.1055/s-0033-1337261

Alltagsnahes kognitives Training in der virtuellen Realität: Pilotstudien zu einem Trainingsprogramm für Patienten mit Depression

HA Ohmann 1, E Dyck 2, P Borggrebe 3, T Beblo 4, M Driessen 4, M Piefke 1
  • 1Uni Witten/Herdecke, Departement füe Psychologie und Psychotherapie, Witten, Deutschland
  • 2Universität Bielefeld, Technische Fakultät, Bielefeld, Deutschland
  • 3CITEC, Bielefeld, Deutschland
  • 4Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel, Bielefeld, Deutschland

Hintergrund: Kognitive Defizite depressiver Patienten zeigen sich insbesondere im Alltag, weniger dagegen in neuropsychologischen Standardtestverfahren. Neben den bekannten Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und exekutiver Funktionen, zeigen neue Studien unter Verwendung virtueller Realität (VR) auch Defizite im Bereich visuell-räumlicher Fähigkeiten auf. Die Therapie kognitiver Defizite steht bisher selten im Fokus der klinischer Forschung und Praxis. Wir haben daher ein kognitives Trainingsprogramm entwickelt, welches mithilfe der VR den Einkauf in einem Supermarkt simuliert und somit ein alltagsnahes kognitives Training darstellt. In der vorliegenden Studie haben wir Lernleistungen und visuell-räumliche Orientierungsleistungen in dem VR Supermarkt bei depressiven Patienten und gesunden Probanden untersucht.

Methode: 16 Patienten mit Depression (11♂, 5♀; Durchschnittsalter 43,69+ 13,15 Jahre) nahmen an einen 8-tägigen kognitiven Training teil, welches das wiederholte Lernen einer Zielliste von Einkaufsprodukten und deren Einkauf im virtuellen Supermarkt umfasst. Durch den Einsatz einer zweiten Produktliste (Interferenzliste) und dem anschließenden freien Abruf der Zielliste an zwei aufeinander folgenden Tage wurde die Stabilität der gelernten Gedächtnisinhalte erfasst. In einer neuropsychologischen Voruntersuchung wurde zusätzlich der Bergen-Left-Right-Discrimination-Test (BRLD) zur Erfassung der Fähigkeit zur mentalen Rotation durchgeführt.

Ergebnisse: Die Lernkurve zeigte eine signifikant größere Anzahl richtig eingekaufter Produkte, kürzere Wegstrecken eine kürzere für den Einkauf benötigte Zeit am letzten (verglichen mit dem zweiten) Lerntag. Die Vergleiche zwischen dem letzten Lerntag und dem sofortigen und um 24 Std. verzögerten freien Abruf (nach der Interferenz) der Zielliste zeigten keine signifikanten Unterschiede für alle gemessenen Variablen. Zudem korrelierten die VR Variablen „Zeit“ und „Zeit pro korrekt eingekauftem Produkt“ an allen Trainingstagen signifikant mit dem BRLD Score.

Schlussfolgerung: Die im Rahmen des VR Trainings erlernten verbalen und visuell-räumlichen Gedächtnisinhalte erwiesen sich als robust gegenüber Interferenz. Dies spricht für eine hohe Stabilität alltagsnaher kognitiver Lernleistungen bei depressiven Patienten in dem VR Supermarkt. Die Korrelationen zwischen den VR Variablen und dem BRLD unterstützen die Annahme, dass die visuell-räumliche Orientierung im VR Supermarkt zumindest teilweise auf einer guten mentalen Rotationsfähigkeit beruht.