Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P119
DOI: 10.1055/s-0033-1337260

Neurobiologische Korrelate expliziter sozialer Urteile über Stimmen

L Hensel 1, 2, B Danilo 1, 2, V Müller 1, 3, K Zilles 1, 3, S Eickhoff 1, 3
  • 1Institut für Neurowissenschaften und Medizin, INM-1, INM-2, Forschungszentrum Jülich, Jülich, Deutschland
  • 2Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Universitätsklinikum Aachen, Aachen, Deutschland
  • 3Institut für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie, Heinrich Heine Universität, Düsseldorf, Deutschland

Fragestellungen:

Die Erforschung sozialer Urteilsprozesse mithilfe funktioneller Bildgebung konzentrierte sich bislang meist auf die Beurteilung von Gesichtern. Erst kürzlich identifizierten wir neuronale Netzwerke, die stärker an der Beurteilung von Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit, als an nicht-sozialen Urteilen über Gesichter beteiligt sind [1]. Dagegen sind die neuronalen Korrelate sozialer Urteile über menschliche Stimmen nur wenig untersucht, obwohl sie Gesichtern in ihrem Reichtum an sozialen Informationen ähneln. Ziel der vorliegenden fMRT-Studie ist die Charakterisierung der Neuroarchitektur expliziter Urteile über vokale Stimuli im Hinblick auf soziale (Attraktivität, Vertrauenswürdigkeit), gegenüber kognitiven (Alter) und emotionalen (Fröhlichkeit) Urteilen.

Methoden:

Die Studienteilnehmer hörten kurze, alltägliche Sätze (je 3 s), gesprochen von 40 in Alter und Geschlecht ausgewogenen Stimmen. Diese wurden auf einer 8-Punkt-Likert-Skala in Bezug auf die Attribute Vertrauenswürdigkeit, Attraktivität, Fröhlichkeit und Alter bewertet. Wichtig ist, dass dieselben Stimuli in allen Bedigungen präsentiert wurden, um die top-down Effekte der jeweiligen Urteilskategorie zu vergleichen, nicht etwa Effekte der Stimuli selbst.

Untersucht wurden 44 gesunde Rechtshänder (21 Frauen). Die funktionellen Daten wurden mittels 3 Tesla MRT erhoben und mit SPM8 vorverarbeitet (Neuausrichtung, räumliche Normierung in MNI Raum, 8 mm FWHM Gauß'schen Glättung) sowie analysiert. Inferenz wurde bei p < 0,05 auf Clusterebene FWE korrigiert (Cluster-bildender Schwellenwert p < 0,001).

Ergebnisse:

In Relation zu Urteilen über Fröhlichkeit und Alter weisen soziale Urteile Aktivierungen in bilateralen inferioren parietalen Kortizes (IPC; Zytoareal PGa) und dorsomedialen präfrontalen Kortizes (dmPFC) auf. Konvergenz mit Hirnregionen, die mit denselben Urteilen über Gesichter [1] assoziiert sind, findet sich ausschließlich im dmPFC.

Der Vergleich von top-down Effekten sozialer (Vertrauenswürdigkeit, Attraktivität vs. andere), sozial-emotionaler (alle vs. Alter) und sozial-kognitiver (alle vs. Fröhlichkeit) Evaluationsprozesse zeigt eine funktionelle Dissoziation im linken IPC in drei Regionen, die sich auch zytoarchitektonisch unterscheiden [2]. Soziale und kognitive Urteile aktivieren gemeinsam den posterioren IPC (PGp), soziale Urteile den mittleren IPC (PGa) und soziale sowie emotionale Urteile den anterioren IPC (PFm, PF).

Schlussfolgerung:

Wir untersuchten die neuronale Basis expliziter sozialer, kognitiver und emotionaler Urteile über menschliche Stimmen. Die beobachtete Konvergenz zwischen den neuronalen Netzwerken, die an der Beurteilung von Stimmen bzw. Gesichtern beteiligt sind, indiziert eine zentrale, möglicherweise supramodale Rolle des dmPFC in sozialen Urteilsprozessen.

Weiterhin fiel eine heterogene Beteiligung des IPC während der sozialen, emotionalen und kognitiven Beurteilung von Stimmen auf. Dieser Befund legt eine spezialisierte Verarbeitung emotionaler und kognitiver Aspekte während sozialer Urteile in anterioren und posterioren Regionen des IPC nahe und ergänzt das aktuelle Wissen zur Differenzierung dieser Region [3].

Referenzen:

[1] Bzdok, D. et al. (2011). The modular neuroarchitecture of social judgments on faces. Cerebral Cortex. 22:951 – 961

[2] Caspers, S. et al. (2006). The human inferior parietal cortex: Cytoarchitectonic parcellation and interindividual variability. NeuroImage. 33:430 – 448

[3] Seghier, M.L. (2012). The Angular Gyrus: Multiple Functions and Multiple Subdivisions. The Neuroscientist, in press