Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P116
DOI: 10.1055/s-0033-1337257

Die Rolle des Gyrus Angularis bei der Verarbeitung von degraded speech

T Golombek 1, G Hartwigsen 1, J Obleser 2
  • 1Universität Leipzig, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Leipzig, Deutschland
  • 2Max-Planck Institut für Kognitive Neurowissenschaften Leipzig, Forschungsgruppe Auditive Kognition, Leipzig, Deutschland

Einleitung:

Bisherige Studien haben gezeigt, dass der linke Gyrus Angularis (ANG) eine zentrale Rolle für die erfolgreiche semantische Integration bei beeinträchtigter Qualität von Sprachsignalen („degraded speech“) spielt [1]. Die Aktivierung dieses Areals wird dabei zum einen in Abhängigkeit von der Schwierigkeit der semantischen Integration moduliert, wobei diese durch den Grad der Prädizierbarkeit eines finalen Nomens im Satzkontext variiert wird: Der Satzkontext führt entweder zu einer erwarteten Endung („Sie bezieht das Bett mit frischen Laken“) oder zu einer nicht erwarteten Endung („Wir freuen uns sehr über die Laken“) („high vs. low cloze probability“). Weiterhin hängt die Aktivierung des ANG vom Grad der akustischen Verständlichkeit des Satzes („noise vocoding“) ab. So konnte gezeigt werden, dass der ANG eine besonders starke Aktivierung bei erfolgreich dekodierten Sätzen mit high cloze probability und mittlerem noise vocoding Level zeigt [1].

In dieser Studie soll die funktionelle Relevanz des ANG für die erfolgreiche Verarbeitung von degraded speech mit repetitiver transkranieller Magnetstimulation (rTMS) untersucht werden.

Methoden:

15 junge gesunde Rechtshänder werden mit 10 Hz rTMS untersucht, während sie auditiv dargebotene Sätze mit variierendem noise vocoding Level (2,4,8,16 und 32 Band) nachsprechen. Dabei wird rTMS in zwei Sitzungen entweder über dem ANG oder dem Lobus parietalis superior (SPL; Kontrollareal) verabreicht. Die Reihenfolge der Sitzungen wird über die Probanden ausbalanciert, wobei zwischen beiden Sitzungen ein Abstand von mindestens 2 Wochen eingehalten wird. Die Darbietung der Sätze erfolgt über Kopfhörer, wobei in jedem Durchgang 3000 ms nach Trialbeginn mit dem Onset des letzten Wortes („Keyword“) ein Burst aus 5 Pulsen 10 Hz rTMS verabreicht wird.

Ergebnisse:

Vorläufige Ergebnisse von 6 Probanden zeigen für die Anzahl richtig wiederholter Keywords eine signifikante 3-fach Interaktion zwischen den Faktoren TMS (ANG vs. SPL), cloze probability (high vs. low cloze) und vocoding level (2, 4, 8, 16 und 32 Band) (p = 0,032). So führte TMS über dem ANG im Vergleich zur TMS über dem SPL bei einem mittleren noise vocoding Level von 4 Band zu einer signifikanten Abnahme der korrekt wiederholten Keywords in der high cloze Bedingung (p = 0,029) aber nicht in der low cloze Bedingung (p = 0,871). Weiterhin war die Differenz richtig wiederholter Keywords zwischen high und low cloze Bedingung für 4 Band Sätze nur nach TMS über dem SPL signifikant (p = 0,004), während TMS über dem ANG diese Differenz abschwächte (p = 0,093).

Diskussion:

Diese vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass der ANG funktionell relevant für die erfolgreiche Verarbeitung von degraded speech ist: Der Zugewinn in der Sprachverständlichkeit, den erwartbare Satzenden erlauben, erscheint unter rTMS-Hemmung des ANG reduziert. Dies bestätigt eine Annahme auf der Basis bisheriger Studien [e.g., 1], wonach der ANG eine Kernregion für die erfolgreiche semantische Integration bei Sätzen mit high cloze probability unter beeinträchtigter Qualität des Sprachsignals ist.

Referenzen:

Obleser J, Kotz SA (2010) Expectancy constraints in degraded speech modulate the language comprehension network. Cerebral Cortex 20:633 – 640.