Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P114
DOI: 10.1055/s-0033-1337255

Parieto-frontale Netzwerke für phonologische und semantische Entscheidungen im gesunden Gehirn. Eine „condition-and-perturb“ Studie mit transkranieller Magnetstimulation

M Klein 1, P Schuschan 1, H Siebner 2, J Classen 1, D Saur 1, G Hartwigsen 1
  • 1Universität Leipzig, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Leipzig, Deutschland
  • 2Copenhagen University Hospital Hvidovre, Danish Research Center for Magnetic Resonance, Hvidovre, Denmark, Deutschland

Fragestellung:

Der linke Gyrus supramarginalis (SMG) sowie der posteriore Anteil des Gyrus frontalis inferior (pIFG) wurden in früheren Studien als Kernregionen für die phonologische Verarbeitung identifiziert, während der Gyrus Angularis (ANG) und der anteriore IFG (aIFG) mit der semantischen Verarbeitung assoziiert wurden (1,2). In dieser Studie wurde die funktionelle Relevanz intakter Interaktionen innerhalb dieser parieto-frontalen Netzwerke mit transkranieller Magnetstimulation (TMS) untersucht.

Methoden:

17 gesunde Rechtshänder wurden 4x mit TMS untersucht. Dabei wurde in einem „condition-and-perturb“ Ansatz eine hemmende kontinuierliche theta burst Stimulation (cTBS-600) vor der Aufgabendurchführung (offline) mit einer 10 Hz TMS während der Aufgabe (online) kombiniert. In einer Sitzung wurde offline cTBS über dem ANG und online TMS über dem aIFG appliziert (semantisches Netzwerk). In einer zweiten Sitzung wurde offline cTBS des SMG mit online TMS über dem pIFG kombiniert (phonologisches Netzwerk). Zudem kombinierten wir offline cTBS des ANG mit online TMS über dem pIFG sowie offline cTBS des SMG mit online TMS über dem aIFG. Die Reihenfolge der Sessions wurde ausbalanciert, wobei jeweils eine Pause von 5 Tagen eingehalten wurde. Während der online TMS führten die Probanden semantische und phonologische Aufgaben durch.

Ergebnisse:

Die kombinierte offline und online TMS wirkte sich unterschiedlich auf beide Aufgaben aus: Im Vergleich zur semantischen Aufgabe zeigte sich nach offline cTBS des SMG (p = 0,001) aber nicht des ANG eine signifikante Verlängerung der phonologischen Reaktionszeiten (RTs). Zudem waren die phonologischen aber nicht die semantischen RTs nach SMG cTBS gegenüber ANG cTBS signifikant verlangsamt (p = 0,04). Vergleichbare Effekte fanden sich für phonologische vs. semantische RTs nach online TMS über dem pIFG (p = 0,001) aber nicht über dem aIFG. Die phonologischen RTs waren wiederum bei TMS über dem pIFG vs. aIFG signifikant verlangsamt (p = 0,044). Der TMS-Effekt verstärkte sich nicht nach kombinierter TMS von SMG und pIFG gegenüber TMS eines Areals in Kombination mit einer semantischen Region.

Im Gegensatz dazu zeigte sich für die semantische Aufgabe im Vergleich zur phonologischen nur nach kombinierter TMS des ANG und aIFG eine Verlängerung der RTs (p = 0,014), nicht jedoch nach TMS eines der Areale. TMS über dem SMG oder pIFG zeigte hier keinen Effekt. Die semantischen RTs waren zudem nach kombinierter TMS über ANG and aIFG im Vergleich zu TMS über SMG and pIFG signifikant verlangsamt (p = 0,043).

Schlussfolgerungen:

Unsere Ergebnisse weisen zum ersten Mal darauf hin, dass phonologische und semantische Entscheidungen unterschiedlich in parieto-frontalen Netzwerken integriert sind. SMG und pIFG tragen beide zur effizienten phonologischen Verarbeitung bei, wobei keine Hinweise auf eine Kompensation für eine virtuelle Läsion im jeweils anderen Areal gefunden wurden. Semantische Entscheidungen scheinen hingegen redundanter angelegt zu sein und zeigten nur eine signifikante Verzögerung, wenn beide semantischen Areale (ANG und aIFG) mit TMS gestört wurden.

Referenzen:

(1) Gough PM, Nobre AC, Devlin JT (2005) Dissociating linguistic processes in the left inferior frontal cortex with transcranial magnetic stimulation. J Neurosci 25:8010 – 8016

(2) Hartwigsen G, Baumgaertner A, Price CJ, Koehnke M, Ulmer S, Siebner HR (2010) Phonological decisions require both the left and right supramarginal gyri. Proc Natl Acad Sci USA 107:16494 – 16499