Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P110
DOI: 10.1055/s-0033-1337251

Differentielle Effekte von Gesten-unterstütztem Wortlernen bei Patienten mit Restaphasie

KM Krönke 1, I Kraft 1, 2, F Regenbrecht 3, F Domahs 2, H Obrig 1, 3, 4
  • 1Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Neurologie, Leipzig, Deutschland
  • 2Phillips Universität Marburg, Klinische Linguistik, Marburg, Deutschland
  • 3Universitätsklinikum Leipzig, Klinik für kognitive Neurologie, Leipzig, Deutschland
  • 4Charité, Universitätsklinikum Berlin, Neurologie, Berlin, Deutschland

Gesten haben eine lange Tradition in der Aphasie-Therapie. Sie können eingesetzt werden um die verbale Kommunikation zu ersetzen, aber auch um die verbale Kommunikation zu verbesseren. Während einige Studien berichteten, dass Gesten-basierte Therapie den lexikalischen Abruf erleichtern kann (Rose, 2006), so bleibt die Rolle von Gesten für das Erlernen neuer Wörter bei sprachgestörten Patienten unklar. In dieser Studie wurde untersucht ob Gesten-unterstütztes Wortlernen (GuWL) erfolgreicher ist als rein verbales Lernen. Außerdem wurde anhand von voxel-based lesion-symptom mapping (VLSM) untersucht ob bestimmte Hirnregionen konstitutiv für GuWL sind.

14 Schlaganfall-Patienten mit einer Restaphasie lernten 30 Pseudowörter für manipulierbare Objekte an vier aufeinander folgenden Tagen in zwei Lernbedingungen: in der Gesten-unterstützten Lernbedingung wurde ein geschriebenes deutsches Wort (z.B. Klavier) präsentiert, gefolgt von einem Video, das eine ikonische Geste zeigt. Das neu zu lernende Pseudowort (z.B. /krulo/) wurde simultan über Kopfhörer präsentiert. Die Aufgabe bestand darin das Pseudowort nachzusprechen und gleichzeitig die Geste aus dem Video zu wiederholen. Die verbale Bedingung verlief identisch, jedoch wurde hier kein Video gezeigt und das Pseudowort sollte lediglich nachgesprochen werden, ohne eine Geste durchzuführen.

Der Lernerfolg in der Gestenbedingung und in der verbalen Bedingung unterschied sich auf der Gruppenebene nicht. Jedoch korrelierte effektiveres Lernen in der Gestenbedingung mit dem patholinguistischen Profil der Patienten: GuWL war besonders erfolgreich bei Patienten mit geringen segmental-phonologischen Fähigkeiten, sowie bei Defiziten im phonologischen Arbeitsgedächtnis. Außerdem zeigte sich, dass Patienten mit intakten lexiko-semantischen Fähigkeiten besonders vom GuWL profitieren. Auf Läsionsebene zeigte sich, dass erfolgreiches GuWL mit spezifischen Hirnläsionen korreliert: während es keinen Vorteil gab von GuWL bei Patienten mit kombinierten frontalen und temporalen Läsionen, so zeigte sich, dass GuWL besonders hilfreich ist bei Patienten mit Läsionen, die sich auf den linken gyrus inferior frontalis (IFG) beschränken.

Die Ergebnisse legen nahe, dass in einer phonologisch komplexen Lernaufgabe Defizite im segmental-phonologischen Bereich durch Gesten-unterstütztes Training erfolgreich kompensiert werden können. Außerdem sprechen die Ergebnisse dafür, dass Defizite im lexiko-semantischen Bereich effektives GuWL verhindern. Dies könnte durch die fehlenden Voraussetzungen für multimodale semantische Integration zu erklären sein (vgl. Krönke et al., in press.). Die VLSM-Ergebnisse liefern erste Hinweise dafür, dass kombinierte Läsionen im linken IFG und im linken anterioren gyrus temporalis superior erfolgreiches GuWL verhindern könnten, weil beide Regionen in lexiko-semantischer Verarbeitung involviert sind und deren Störung die Integration von Geste und Pseudowort erschweren würde.

Referenzen:

Krönke, K.-M., Müller, K. Friederici, A. D. & Obrig, H. (in press). Learning by Doing? The Effect of Gestures on Implicit Retrieval of Newly Acquired Words. Cortex.

Rose, M. (2006). The utility of arm and hand gestures in the treatment of aphasia. Advances in Speech-Language Pathology, 8, 92 – 109.