Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P62
DOI: 10.1055/s-0033-1337203

Schmerzhemmung und Allodynie durch unmyelinisierte Afferenzen – ein Widerspruch?

K Döring 1, W Schirner 1, B Dassinger 2, C Best 3, F Birklein 4, M Kaps 1, ER Gizewski 5, HH Krämer 1
  • 1Justus Liebig Universität Gießen, Zentrum für Neurologie und Neurochirurgie, Abteilung für Neurologie, Gießen, Deutschland
  • 2Justus Liebig Universität Gießen, Zentrum für Radiologie, Abteilung für Neuroradiologie, Gießen, Deutschland
  • 3Philipps-Universität Marburg, Klinik für Neurologie, Marburg, Deutschland
  • 4Universitätsmedizin Mainz, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Mainz, Deutschland
  • 5Medizinische Universität Innsbruck, Universitätsklinik für Neuroradiologie, Innsbruck, Deutschland

Einleitung: Die behaarte, menschliche Haut ist neben den Aβ Fasern auch mit einer Subgruppe von C Fasern ausgestattet, die keinen Schmerz sondern emotionale Aspekte von Berührung leiten (C tactile, CT Fasern) (Loken, Wessberg et al. 2009). Im Tierexperiment konnte einerseits nachgewiesen werden, dass CT Fasern die nozizeptive Transmission im Hinterhorn hemmen (Lu and Perl 2003). Ob dieser schmerzinhibitorische Effekt auf den Menschen übertragbar ist, ist noch unklar. Andererseits haben andere tier- (Seal, Wang et al. 2009) und humanexperimentelle (Nagi, Rubin et al. 2011) Studien gezeigt, dass CT Fasern, neben den Aβ Fasern, eine Rolle bei der Entstehung von experimentell- induzierter Allodynie spielen. Dieser Aspekt könnte bei Erkrankungen, welche mit einer Schädigung der CT Fasern einhergehen, eine Rolle spielen. Bei einer small fiber Neuropathie (SFN) liegt eine Schädigung der Aδ und C Fasern vor, so dass auch die CT Fasern betroffen sein können.

Ziel: In der aktuellen Studie sollte zum einen ein möglicher schmerzhemmender Effekt von CT Fasern beim Gesunden und ein möglicher Beitrag von CT Fasern an neuropathischen Schmerzen bei SFN Patienten untersucht werden.

Methoden: Es wurden 15 gesunde Freiwillige (9 Frauen, mittleres Alter 47 Jahre) und 7 Patienten (4 Frauen, mittleres Alter 56 Jahre) mit SFN ohne klinische Hinweise auf Allodynie untersucht. Mittels fMRT (3T) wurden folgende Bedingungen durchgeführt: 1) Hitzestimulation am linken Fuß; 2) Hitzeschmerz am linken Fuß und gleichzeitiges bestreichen der Haut (3 cm/s; CT Faser Stimulation); 3) Ruhe. Die Schmerzintensität wurde von den Teilnehmern kontinuierlich auf einer visuellen Analogskala (VAS; 0 – 100) angegeben. Die Auswertung erfolgte mit SPM 8.

Ergebnisse: Psychophysik: Bei den gesunden Teilnehmern kam es durch die zusätzliche CT Faser Aktivierung zu einer signifikanten Schmerzreduktion (p = 0,001), während SFN Patienten durch zusätzlicher CT Faser Stimulation eine Verstärkung des Hitzeschmerzes (p = 0,048) angaben. fMRT: Die Applikation von Hitzeschmerz führte in beiden Gruppen zu bilateraler Aktivierung der anterioren Inselrinde (IC), S2, der päfrontalen Kortices sowie des rechten S1 und ACC. Durch die zusätzliche CT Faser Stimulation zeigte sich bei den Gesunden eine Mehraktivierung der rechten posterioren IC, der Amygdala beidseits sowie des Hirnstamms. Bei SFN konnten durch die taktile Stimulation keine signifikanten Mehraktivierungen erzielt werden.

Diskussion: Zusammenfassend besitzen CT Fasern beim Gesunden schmerzhemmende Eigenschaften. Hierbei scheint es sich um einen zentralen Effekt zu handeln. Bei einer Schädigung der CT Fasern allerdings, scheinen diese nicht mehr die ‚Angenehmheit von Berührung' zu leiten, sondern können bei der Entstehung von neuropathischen Schmerzen eine Rolle spielen.

Literatur:

Loken, L. S., J. Wessberg, et al. (2009). "Coding of pleasant touch by unmyelinated afferents in humans." Nat Neurosci12(5): 547 – 548

Lu, Y. and E. R. Perl (2003). "A specific inhibitory pathway between substantia gelatinosa neurons receiving direct C-fiber input." J Neurosci23(25): 8752 – 8758

Nagi, S. S., T. K. Rubin, et al. (2011). "Allodynia mediated by C-tactile afferents in human hairy skin." J Physiol589(Pt 16): 4065 – 4075

Seal, R. P., X. Wang, et al. (2009). "Injury-induced mechanical hypersensitivity requires C-low threshold mechanoreceptors." Nature462(7273): 651 – 655