Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P55
DOI: 10.1055/s-0033-1337196

Neuronale und neuromuskuläre Mechanismen von Freezing-Phänomenen bei der Parkinson-Krankheit

M Scholten 1, 2, R Klotz 1, 2, T Wächter 1, 2, C Braun 3, RB Govindan 4, C Plewnia 5, R Krüger 1, 2, D Weiß 1, 2
  • 1Universitätsklinikum Tübingen, Neurodegeneration, Tübingen, Deutschland
  • 2Hertie Institut für klinische Hirnforschung, Tübingen, Deutschland
  • 3Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensbiologie, MEG Zentrum, Tübingen, Deutschland
  • 4Children's National Medical Center, Division of Fetal and Transitional Medicine, Washington, DC, USA, Deutschland
  • 5Universitätsklinikum Tübingen, Psychiatrie, Neurophysiologie und interventionelle Neuropsychiatrie, Tübingen, Deutschland

Einleitung:

Die Pathophysiologie von Freezing-Phänomenen bei der idiopathischen Parkinson-Krankheit (PD) ist bislang inkomplett verstanden, nicht zuletzt da etablierte Verfahren zur Erforschung des Gang-Freezings nicht zur Verfügung stehen. Wir untersuchen neuromuskuläre Aktivierungsmuster von Freezing-Phänomenen und stellen eine neue Methode vor, mit der neuronale und neuromuskuläre Korrelate des Gang-Freezings untersucht werden können. Dies ist nötig, um neue Strategien zur therapeutischen Neuromodulation von Gangstörungen zu entwickeln, weil die konventionellen medikamentösen Therapien oft nur eingeschränkt wirksam sind.

Materials/Methode:

Wir haben 12 Parkinson-Patienten mit Tiefer Hirnstimulation im Bereich des Nucleus subthalamicus (STN-DBS) und 14 gesunde Kontrollen (angepasst hinsichtlich Alter und Geschlecht) während selbst-initiierter repetitiver Fingerbewegungen unter verschiedenen Therapiebedingungen untersucht (mit und ohne STN-DBS, mit und ohne dopaminerge Medikation). Simultan zur mechanographischen Registrierung von Freezing-Episoden der Fingerbewegungen wurden EEG und EMG abgeleitet. Als Folgeprojekt untersuchen wir neuromuskuläre Aktivierungsmuster während Freezing-Episoden beim Gehen. Hierfür verwendeten wir eine telemetrische (kabellose) Datenübertragung von EEG und EMG (MES Electronic, Gilching, München) sowie Aktiv-Elektroden zur Vermeidung bewegungs-induzierter Kabelartefakte. Ein 16-Kanal Oberflächen EMG der Musculi tibiales anteriores (TA), gastrocnemii (G), biceps femores (BF) und recti femorum (RF) wurde simultan zum 16-Kanal EEG aufgezeichnet.

Ergebnisse:

Während der Freezing-Episoden von Fingerbewegungen findet eine Hypersynchronisation antagonistischer Handmuskeln statt. Telemetrische Ableitungen ermöglichten erstmals simultane Artefakt-freie Ableitungen von EEG und EMG bei Parkinson-Patienten. Durch die verwendeten Aktivelektroden mit prompter AD-Wandlung konnten Aufzeichnungen ohne Bewegungs-Artefakte erreicht werden. Während des regulären Gehens findet sich wie erwartet ein sequentielles Aktivierungsmuster gleichseitiger antagonistischer Muskeln in Assoziation zum Gangzyklus. Dieses sequentielle Muster wird bei Parkinson-Patienten mit zunehmender Kleinschrittigkeit und Freezing gestört. In der [MedOff/StimOff] Kondition wurden während des Freezings höhere EMG-Amplituden beobachtet und fiel zudem eine Überaktivität der jeweiligen Antagonisten auf (zB. Musculi gastrocnemii beider Extremitäten).

Diskussion:

Durch die in diesem Experiment verwendeten technologischen Weiterentwicklungen konnten erstmals gezielte Untersuchungen zu den neuromuskulären Korrelaten von Freezing-Episoden durchgeführt werden. Kleine und schnelle Trippelschritte präsentierten sich mit höheren EMG-Amplituden und könnten auf defekte spinale und supraspinale Inhibitionsmechanismen als Korrelat des Freezings hinweisen. Unsere Pilot-Studie zeigt, dass kombinierte EEG-EMG Messungen bei mobilen Parkinsonpatienten mit hoher Datenqualität möglich sind. Dies stellt eine entscheidende methodische Erweiterung dar, weil Freezing-Phänomene und Gangstörungen etablierten Bildgebungsmethoden nicht ausreichend zugänglich sind.