Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P18
DOI: 10.1055/s-0033-1337159

Gestörte Interaktion zwischen der Open- und Closed-Loop-Haltungskontrolle bei phobischem Schwankschwindel

M Wühr 1, R Schniepp 1, 2, T Brandt 3, K Jahn 1, 2
  • 1Ludwig-Maximilians-Universität, Deutsches Zentrum für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen, München, Deutschland
  • 2Klinikum der Universität München, Neurologische Klinik, München, Deutschland
  • 3Ludwig-Maximilians-Universität, Institut für Klinische Neurowissenschaften, München, Deutschland

Einleitung: Der somatoforme phobische Schwankschwindel (phobic postural vertigo, PPV) ist charakterisiert durch ein Schwindelempfinden verbunden mit subjektiver Stand- und Gangunsicherheit [1]. Es wird vermutet, dass ein Wechsel in der posturalen Kontrollstrategie die Standunsicherheit bei PPV verursacht [2]. Ein besseres Verständnis der Mechanismen hinter diesem Strategiewechsel ist nötig, um die Diagnose und die Therapieoptionen dieser verbreiteten Schwindelerkrankung zu verbessern. In dieser Studie wenden wir eine Stabilogram Diffusions Analyse (SDA) [3] an, um die Charakteristiken und Interaktionsmodi der Open- und Closed-Loop-Prozesse zu untersuchen, die der Haltungskontrolle in PPV unterliegen.

Methoden: Die statische Haltungskontrolle von 20 Patienten mit PPV und 20 gesunden Kontrollpersonen wurde auf einer Stabilometer Plattform mit offenen und geschlossenen Augen aufgenommen. Die Trajektorien des Körperschwerpunktes (CoP) wurden mithilfe der SDA und komplementären CoP Amplitudenmaßen analysiert.

Ergebnisse: (1) Open-loop Kontrollmechanismen in PPV zeigten eine signifikant erhöhte Diffusionsaktivität (p < 0,001). (2) Die Interaktion zwischen Open- und Closed-Loop-Mechanismen war gestört, indem der Schwellenwert für sensorische Rückkopplung signifikant erniedrigt war (p= 0,010). Diese beiden Veränderungen waren vergleichbar mit denjenigen, die bei gesunden Kontrollpersonen während des Stehens mit geschlossenen Augen beobachtet wurden.

Schlussfolgerungen: Diese Resultate deuten darauf hin, dass das subjektive Ungleichgewicht bei PPV assoziiert ist mit charakteristischen Veränderungen in der Koordination der Open- und Closed-Loop-Mechanismen in der Haltungskontrolle. Die posturale Stabilität bei PPV wird gestört durch ein verfrühtes Eingreifen der sensorischen Rückkopplung in die Haltungskontrolle. Zugleich deutet die erhöhte Open-Loop-Aktivität auf eine Versteifung des muskuloskelettalen Systems einhergehend mit einer ängstlichen Kontrolle der posturalen Stabilität.

Abb. 1: Stabilogram Diffusions Plot (gepunktete Linie) und lineare Regression (gestrichelte Linien) der CoP Bewegung in planarer Richtung für eine gesunde Kontrollperson (A) und einen Patienten mit PPV (B). Der Open-Loop Diffusionskoeffizient Drs, der Closed-Loop Diffusionskoeffizient Drl sowie der kritische Punkt, der beide Kontrollbereiche trennt, sind abgebildet für beide Subjekte.

Literatur:

1. Brandt T (1996) Phobic postural vertigo. Neurology 46 (6):1515 – 1519

2. Tjernstrom F, Fransson PA, Holmberg J, Karlberg M, Magnusson M (2009) Decreased postural adaptation in patients with phobic postural vertigo–an effect of an "anxious" control of posture? Neurosci Lett 454 (3):198 – 202. doi:10.1016/j.neulet.2009.03.020

3. Collins JJ, De Luca CJ (1993) Open-loop and closed-loop control of posture: a random-walk analysis of center-of-pressure trajectories. Exp Brain Res 95 (2):308 – 318