Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P16
DOI: 10.1055/s-0033-1337157

Kompensation verminderter cerebelläre Funktion durch vermehrte Rekrutierung cerebraler cortikaler Areale bei Patienten mit hereditärer spinocerebellärer Ataxie (SCA)

M Nitschke 1, J Körper 1, F Binkofski 2, C Erdmann 1, A Wolters 1, 3, C Klein 1
  • 1UKSH, Campus Lübeck, Klinik für Neurologie, Lübeck, Deutschland
  • 2Universitätsklinikum Aachen, Neurologische Klinik, Aachen, Deutschland
  • 3Universitätsklinikum Rostock, Klinik für Neurologie, Rostock, Deutschland

Einleitung: Die therapeutischen Optionen bei Patienten mit SCA sind weiterhin sehr begrenzt und beschränken sich häufig auf die Betonung der Physiotherapie basierend auf der Annahme, dass bei diesen Patienten cerebrale Kompensationsmechanismen existieren. Wir untersuchten mittels fMRT die Aktivierungen während visuell geführter Sakkaden und zielgerichteter Zeigebewegungen sowie intern und extern getriggerte Fingerfeinbewegungen der rechten Hand. Die Ergebnisse wurden mit denen alters- und geschlechtskorrelierter Kontrollpersonen verglichen.

Methoden: Zwölf rechtshändige Patienten (8 SCA17, 3 SCA1, 1 SCA3) und zwölf alters- und geschlechts-gematchte Kontrollen nahmen an der Studie teil (12 Männer, 6 Frauen, 20 – 65 Jahre). Die Messung erfolgte bei 1,5 T (Siemens Symphony, EPI) und die Datenanalyse mit SPM 8. Die Probanden führten pseudorandomisiert Sakkaden oder zielgerichtete Zeigebewegungen und intern und extern getriggerte Fingeroppositionsbewegungen der rechten Hand aus. Die Sakkaden und Zeigebewegungen, jeweils getriggert durch Farbwechsel eines Zielpunktes, wurden durch Positionswechsel des Laserpunktes von der Mitte ausgehend pseudorandomisiert nach rechts oder links geführt. Als Kontrollbedingung diente die zentrale Fixation. Die Augenbewegungen und damit die Task-Performance wurden während der Messung mittels MR-kompatibler Infrarot-Okulografie aufgezeichnet.

Ergebnisse: Patienten und Normalpersonen aktivierten das zerebrale Netzwerk bestehend aus kortikalen Augenfeldern (v.a. frontale und supplementäre Augenfelder (FEF, SEF) und aus parietalen Arealen. Zeigebewegungen und Fingerbewegungen der rechten Hand aktivierten überlappend Regionen im FEF und parietalen Kortex sowie M1 und supplementär motorische Areale. Das Zerebellum zeigte bei Normalprobanden hauptsächlich im Vermis und in den Hemisphären (Lobuli IV-VI) lokalisierte Aktivität. Bei den Patienten zeigte sich eine reduzierte Aktivität in diesen Arealen. Im Gegensatz dazu fanden wir mehr Aktivität in fronto-parietalen Arealen sowie zusätzliche Foci im posterioren Zerebellum (Lobuli VII-VIII) für alle SCA-Typen.

Schlussfolgerung: Die Aktivierungsmuster innerhalb der cerebro-cerebellären Netzwerke belegen plastische Reorganisationsmechanismen, welche den Patienten erlauben ihre funktionellen Defizite zum Teil zu kompensieren. Dies scheint dabei neben einer vermehrten Rekrutierung von cerebralen corticalen Arealen interessanterweise auch über spezifischen Aktivierungen innerhalb des posterioren Cerebellums (Lobuli VII-VIII) zu gelingen, die bei den Kontrollpersonen nicht beobachtet werden konnten.