Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - V16
DOI: 10.1055/s-0033-1337140

Effektive Anregung des kortikalen Schlucknetzwerks durch transkranielle Gleichstromstimulation – eine Magnetenzephalografiestudie

S Suntrup 1, 2, I Teismann 1, A Flöel 3, A Wollbrink 2, M Winkels 2, C Pantev 2, R Dziewas 1
  • 1Universitätsklinikum Münster, Klinik für Neurologie, Münster, Deutschland
  • 2Universitätsklinikum Münster, Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Münster, Deutschland
  • 3Charite Universitätsmedizin, Klinik für Neurologie, Berlin, Deutschland

Einleitung: Der Schluckakt in seiner Komplexität wird von einem Netzwerk auf kortikaler, subkortikaler und Hirnstammebene gesteuert, das in einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen gestört ist. Da effektive rehabilitative Behandlungsansätze für Dysphagien weitgehend fehlen, gilt neuromodulatorischen Verfahren wie der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) großes Interesse. Erste klinische Studien deuten auf einen möglichen therapeutischen Nutzen hin (Kumar et al., Stroke 2011). Hier untersuchen wir erstmalig mittels funktioneller Bildgebung den Effekt auf die Aktivität des kortikalen Schlucknetzwerks und die Schluckfunktion am Gesunden.

Methoden: In dieser doppelblinden, randomisierten Studie erhielten 21 Probanden in drei Einzelsitzungen jeweils eine anodale Stimulation (20 Minuten, 1 mA) des linken bzw. rechten Schluck-Motorkortex oder eine Scheinstimulation. Während der Intervention bekamen die Probanden Zitronenlutscher um häufig und kräftig zu schlucken. Vor und nach der tDCS wurde die ereigniskorrelierte Hirnaktivität während der Durchführung dreier Schluckaufgaben mit unterschiedlichen Anforderungen („Simple“, „Fast“ und „Challenged swallow task“ (Mistry et al., J Physiol 2007)) magnetenzephalographisch gemessen. Zudem wurden Antwortlatenz und Präzision des Schluckens erfasst. Die MEG-Daten wurden mit einem Beamformerverfahren analysiert und signifikante Unterschiede mit einer clusterbasierten Permutationsstatistik berechnet.

Ergebnisse: Ein signifikanter Anstieg schluckassoziierter Theta-Aktivierung (4 – 8 Hz) fand sich bihemisphärisch im „Fast swallow task“ nach linksseitiger Stimulation und im „Challenged swallow task“ nach rechtsseitiger tDCS (Abb. 1) verbunden mit einer Verbesserung der Schluckpräzision. Keine Effekte waren nach Scheinstimulation oder im einfachsten „Simple swallow Task“ messbar.

Schlussfolgerung: Die tDCS hat eine frequenzspezifisch modulierende Wirkung auf die oszillatorische Aktivität schluckrelevanter Kortexareale und scheint dadurch die Schluckfunktion bei komplexeren Aufgaben effektiv zu beeinflussen. Theta-Oszillationen erscheinen für die Plastizität des Schlucknetzwerks besonders relevant, da auch pharyngeale Elektrostimulation (Fraser et al., Neuron 2002) und rTMS jeweils bei 5 Hz (Gow et al., Clin Neurophysiol 2004) einen optimalen Wirkeffekt auf den pharyngealen Motorkortex zeigten.

Bei einer bilateral repräsentierten Mittellinienfunkton wie dem Schluckakt führt auch unilaterale tDCS zu beidseitiger Exzitation. Die Hypothese einer Hemisphärenspezialisierung für einzelne Aspekte des Schluckaktes erklärt die aufgabenspezifische Aktivitätssteigerung in Abhängigkeit von der stimulierten Seite. Definierte Teilkomponenten des Schluckaktes waren in den Tasks unterschiedlich gefordert: die linke Hemisphäre steuert die orale Phase, relevant für den „Fast Swallow“, daher die Mehraktivierung nach linksseitiger tDCS. Die rechte Hemisphäre koordiniert die im „Challenged swallow“ wichtige pharyngeale Phase, daher die Steigerung nach rechtsseitiger tDCS. Diese Beobachtung ist hinsichtlich einer therapeutischen Anwendung für verschiedene Dysphagieformen interessant.