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DOI: 10.1055/s-0033-1337136
Reduzierte Inhibition von gelernten motorischen Programmen bei älteren Menschen
Einleitung:
Situationsgerechtes Verhalten hängt nicht nur vom Ausführen, sondern auch vom Nicht-Ausführen bzw. der Hemmung gelernter Verhaltensweisen ab. Beispielsweise, wenn man in einem Restaurant zum Essen ist und man die Suppe bekommt nimmt man den Löffel und beginnt zu essen (motorisches Programm). Sagt der Kellner einem Gast, der eine Intoleranz gegen Meeresfrüchte hat, dass in der Suppe Muscheln sind, muss das motorische Programm Suppe-beginnen zu essen gehemmt werden um negative Folgen zu vermeiden. Bei jungen Gesunden konnte experimentell gezeigt werden, dass kontextspezifische Inhibition mit einem Anstieg von Alpha-Oszillatorischer Aktivität einhergeht (Hummel et al. 2002; Sauseng et al, 2012). Hier wurde untersucht, ob bei älteren gesunden Menschen Prozesse kontextabhängiger inhibitorischer Kontrolle gestört sind. Dabei mussten ältere Probanden neu Fertigkeiten erlernen und deren Abruf kontextspezifische Kontrollieren (Details zum Paradigma siehe Sauseng et al. 2012).
Methoden:
14 junge (AM = 25 Jahre; s = 2,6; 6 Männer) und 14 ältere (AM = 70 Jahre; s = 3,2; 5 Männer) gesunde Probanden lernten eine einfache und eine komplexe Fingerbewegungssequenz (bestehend aus 10 Einzelbewegungen) auf einer Tastenbox fehlerfrei zu spielen. Eine Stunde nach dem Erlernen wurden die Probanden entweder aufgefordert die Sequenzen im Takte externer visueller Taktgeber zu spielen (Ausführungsbedingung) oder die Ausführung zu unterlassen und nur die Taktgeber zu betrachten (Inhibitionsbedingung). 24 Stunden später wurde das Experiment mit den am Tag zuvor gelernten Sequenzen wiederholt. An beiden Tagen wurde ein Multikanal-EEG abgeleitet. Die Analysen wurden auf das motorische System mit folgenden ROIs fokussiert (rechter sensomotorischer Kortex = RSM, linker sensomotorischer Kortex = LSM, supplementär motorische Area = ML)
Ergebnisse:
Die rmANOVA mit den Faktoren REGION (LSM, RSM, ML), GRUPPE (alt, jung) und ZEITPUNKT (1h, 24h) zeigte einen signifikant geringeren Anstieg der Alphaamplitude bei älteren Probanden (GRUPPE: F= 5,59; p = 0,026) im Vergleich zu jüngeren und einen signifikanten Effekt des Faktors ZEITPUNKT (F= 11,53; p = 0,002). Die Post-Hoc-Analyse ergab eine signifikante Erhöhung der Alphaamplitude vom ersten zum zweiten Tag bei den älteren Probanden (t-Test; p = 0,04 korrigiert nach Bonferroni).
Diskussion:
Die Ergebnisse bestätigen auf elektrophysiologischer Ebene das Vorliegen eines Defizits der kontextabhängigen inhibitorischen Kontrolle von gelerntem komplexen Verhalten bei älteren Menschen. Der sensomotorische Kortex zeigte bilateral eine geringere Inhibition im Sinne einer geringeren Alphaamplitudenzunahme. Diese Ergebnisse können aufgrund des Verzichts auf die Reaktionszeit als abhängige Variable nicht durch eine verringerte Verarbeitungsgeschwindigkeit erklärt werden. Die reduzierte Fähigkeit sensomotorischen Areale kontextabhängig optimal zu hemmen, könnte verantwortlich sein für Defizite in der kontextuellen Kontrolle auf Verhaltensebene.