Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - V9
DOI: 10.1055/s-0033-1337133

Plastizität vestibulärer Kortexbereiche durch Gleichgewichtstraining: eine Hochfeld-Magnetresonanztomografie (MRT) Studie bei 7 Tesla

M Taubert 1, B Sehm 1, R Trampel 2, D Ivanov 2, M Weiss 2, V Conde 1, T Fritz 1, R Turner 2, A Villringer 1, P Ragert 1
  • 1MPI Leipzig, Neurologie, Leipzig, Deutschland
  • 2MPI Leipzig, Neurophysik, Leipzig, Deutschland

Einleitung:

Bewegungslernen führt zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Gehirn. Während funktionelle Veränderungen nach wenigen Trainingsminuten einer neuen Bewegungsaufgabe beobachtet werden können, geht die klassische Sichtweise von langfristigen Anpassungsprozessen in der Struktur aus (Bailey & Kandel, 2008). Umso überraschender beschreiben jüngste Befunde am Tiermodell strukturelle Veränderungen nach einer einzelnen motorischen Trainingseinheit (Xu et al., 2009). Dabei kommt es zu einer Vermehrung post-synaptischer Struktureinheiten (dendritic spines). Die absolute Anzahl der Synapsen normalisiert sich wieder nach 1 – 2 Tagen kontinuierlichen Trainings (transient). Während bisherige MRT-Studien am Menschen Strukturveränderungen nach mehreren Tagen des motorischen Trainings zeigen konnten, ist bisher unklar, ob transiente Strukturveränderungen auch nach einer einzelnen motorischen Trainingseinheit beobachtet werden können.

Methode:

Um solch frühe Veränderungen erfassen zu können, wurde ein Hochfeld 7 Tesla MRT (MAGNETOM 7T, 0,7 mm isotrop) genutzt. Im Abstand von 45 Minuten wurden zwei Aufnahmen der gesamten Hirnstruktur durchgeführt. Innerhalb der 45 Minuten erfolgten ein Training in einer dynamischen Gleichgewichtsaufgabe (TG; N = 17), eine aktive Kontrollintervention (AKG; N = 15) und eine passive Ruhe-Kontrollintervention (RKG; N = 16). Nach einer Woche erfolgte eine Nachmessung in der TG.

Ergebnisse:

Signifikante Verbesserungen in der motorischen Aufgabe konnten in der TG relativ zur AKG nachgewiesen werden (F [1,14]= 37,7, η p 2= 0,729). Die MRT-Analyse ergab eine signifikante Zunahme in der Dichte der grauen Substanz im linken Temporallappen (STG) in der TG (p < 0,05 FWE korrig.), jedoch keine Veränderungen in AKG und RKG. Diese Region ist Teil des vestibulären Netzwerks und verantwortlich für die Integration visueller und vestibulärer Informationen. Ein direkter Vergleich zwischen TG, AKG und PKG bestätigte den Befund und zeigte eine signifikante, differenzielle Zunahme in der TG relativ zur AKG und PKG (p < 0,05 FWE korrig.). Eine Woche nach dem Training konnte keine signifikante Veränderung in der TG beobachtet werden.

Diskussion:

Die zellulären Korrelate trainingsbedingter MRT-Veränderungen sind bisher unklar. Potentielle Korrelate, wie z.B. Synapto- oder Angiogenese, besitzen unterschiedliche Zeitverläufe. Aufgrund des raschen, transienten Zeitverlaufs lassen die vorliegenden MRT-Ergebnisse, ähnlich wie im Tiermodell, einen überaus dynamischen, strukturellen Anpassungsmechanismus auf synaptischer Ebene am Menschen vermuten.

Literatur:

Bailey, C.H. & Kandel, E.R. (2008). Synaptic remodeling, synaptic growth and the storage of long-term memory in Aplysia. Prog Brain Res., 169, 179 – 98.

Dayan, E. & Cohen, L.G. (2011). Neuroplasticity subserving motor skill learning. Neuron, 7, (3), 443 – 454.

Xu, T., Yu, X., Perlik, A.J., Tobin, W.F., Zweig, J.A., Tennant, K., Jones, T. & Zuo, Y. (2009). Rapid formation and selective stabilization of synapses for enduring motor memories. Nature, 462 (7275), 915 – 919.