Z Sex Forsch 2013; 26(2): 99-121
DOI: 10.1055/s-0033-1335629
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leben mit dem Kallmann-Syndrom

Narrative Erfahrungsberichte von Männern
Johannes Hofmann
a   Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Meike Watzlawik
a   Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Hertha Richter-Appelt
b   Institut für Psychologie, Universität Osnabrück
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Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. Juni 2013 (online)

Übersicht

Betroffene des Kallmann-Syndroms (KS) haben durch einen angeborenen genetischen Defekt keine natürlich einsetzende körperliche Pubertätsentwicklung sowie einen eingeschränkten Geruchssinn. Das KS tritt mit einer Prävalenz von 1:8.000 – 10.000 bei Männern auf und mit 1:40.000 bei Frauen. Die Entwicklung der Geschlechtsidentität wird durch das KS nicht beeinflusst. Bisher gibt es nur wenige systematische Studien zu den psychischen Belastungen und Folgen der somatischen Besonderheit des Kallmann-Syndroms. Eine angemessene Aufklärung der Betroffenen sollte jedoch auf der Grundlage fundierter Forschungsergebnisse erfolgen. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit den Fragen, welche psychischen Belastungen als Folge der ausbleibenden körperlichen Pubertätsentwicklung durch das KS von betroffenen Männern erlebt werden und wie das Ausmaß der Belastung von den Betroffenen wahrgenommen wird. Ebenso wird untersucht, welche Coping-Strategien ihnen im Umgang mit den Folgen des KS zur Verfügung stehen. Die vorliegende Studie untersucht die psychischen Folgen bei betroffenen Männern.

16 Männer mit der Diagnose KS wurden im Rahmen der Studie interviewt. Die von den Betroffenen genannten Faktoren lassen den Schluss zu, dass das KS keinesfalls auf die medizinische Problematik reduziert werden sollte und psychische Folgen bei der Behandlung berücksichtigt werden sollten. Die verzögerte oder nicht stattgefundene Körperentwicklung wirkte sich besonders negativ auf das Selbstbild und den Selbstwert sowie auf die sozialen Kontakte aus. Die Testosteron-Therapie hatte psychische Folgen wie Stimmungsschwankungen, Antriebslosigkeit und Veränderung der Libido. Als relevante Ressourcen erwiesen sich soziale Beziehungen, Gesprächsangebote und die Virilisierung durch die Testosteron-Therapie.