Balint Journal 2013; 14(04): 125
DOI: 10.1055/s-0033-1333733
Buchbesprechung
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E. R. Petzold
1   Kusterdingen
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Publication Date:
08 January 2014 (online)

Die Stimme der Güte – ist eine kleine, großartige Entdeckung und – ein unerwarteter, wiedergefundener Schatz. 6 Briefe, eine Postkarte, ein kurzer Besuch Weizsäckers bei der großen alten Dame der Psychoanalyse in Göttingen und die Rezension eines Buches von Lou Andreas -Salomé: „Mein Dank an Freud. Offener Brief an Professor Sigmund Freud zu seinem 75. Geburtstag“. Mit der Besprechung dieses Buches habe er sich aus einer Affaire gezogen, schrieb V.v. Weizsäcker an Lou Andreas-Salomé am 5.10.1932. „Falls Sie irgendetwas verkehrt finden – wollen Sie es mir sagen?“ bat er sie. „Ich möchte nicht, dass es gegen Ihren Sinn wirke“. Eine Affaire? Ein Stolperwort. Worüber war der damals 46-jährige gestolpert? Die Antwort findet sich schon im ersten Satz des ersten Briefes an LAS vom 21.12.1931: „Hoch verehrte Frau, es ist eine – fortgezeugte- Dankbarkeit, aus der ich den Mut schöpfe, gleich nach dem ersten raschen Durchlesen Ihres ‚Danks an Freud‘ Ihnen geradewegs zu schreiben“.

Wieso aber eine Affaire? Offensichtlich spürt Weizsäcker hinter ihrem Dank an Freud eine sublime Kritik an dessen Skepsis der Religion gegenüber, eine Kritik, die er teilt. (vgl. dazu auch M. Bormuth: Wider den Atheismus Freuds – Viktor von Weizsäcker als Lebensphilosoph B.J. 2005,6, S 33-40)

Die Spurensuche führt in das Lou Andreas-Salomé Archiv in Göttingen. Der Schatz, ein Glücksfall ist sicher der, dass in diesem Archiv einige, wenige Briefe von Weizsäcker an Lou Andreas-Salomé gefunden wurden; ein zweiter Glücksfall ist der, dass diese Briefe in die Hände der Herausgeber der Gesammelten Schriften von Weizsäcker kamen. Einer von ihnen, nämlich Peter Achilles redigierte diese Briefe und das „Typoskript der Besprechung“ ungemein sachkundig für „Sinn und Form“. In einer prägnanten Übersicht von knapp 11 Seiten führt P. Achilles den Leser in den Kontext dieser Briefe ein und an den Ursprung der Psychosomatik. Er erinnert an Lou Andreas–Salomé, die in früheren Jahren dem jungen Rilke das „heilige Russland“ ( ERP) nahe gebracht hatte, mit Nietzsche befreundet war und später mit Freud. Wir kennen sie aus einem Bild 1911 bei dem dritten Internationalen Kongress in Weimar in der Mitte des Kreises, der sich um den Gründer der Psychoanalyse gebildet hatte. Aus heutiger Sicht mag es eine Utopie gewesen sein, aber damals ging es um Festigung/Stabilisierung jener neuen Wissenschaft, die sich mit dem Unbewussten befasste und sich dem gestellt hatte, was wir immer noch „Verdrängung“ nennen, was Weizsäcker aber selbst in einem Zusammenhang mit der „Spaltung der Vernunft“ in der frühen Neuzeit und auch in der Aufklärung (Kant) sah.

Ihm wie ihr und ebenso natürlich wie Freud ging es bei ihren jeweiligen Selbstbefragungen und Selbsterfahrungen um die Grundlagen einer neuen Forschungsrichtung.

Weizsäcker spürte offensichtlich in dem „Dank an Freud“, hier aber vielmehr noch in dem Dank an Lou Andreas–Salomé die Chance der Wiederannäherung der Religion und der Geisteswissenschaft an die Naturwissenschaft. Komplementär könnten sie durch die „Stimme der Güte“ verbunden werden. Es spricht der Arzt, der „Vater der Psychosomatik“, dem die Verbundenheit von Körper und Geist, von Leib und Seele zentrales Anliegen war und dem – nicht zuletzt durch die Begegnung mit Lou Andreas-Salomé – der Mut erwachsen war, gegen die damals vorherrschende, alles objektivieren wollende Schulmedizin – ich möchte sagen – mit der fast naiven Kraft eines Urvertrauens für „die Einführung des Subjektes in die Medizin“ zu kämpfen. L.A.S wie V.v. W., hatten erkannt¸ dass der Vernunft fast immer auch ein irrationales Element zugrunde liegt. Weizsäckers Konzeption des Gestaltkreises entspricht, wenn auch wesentlich stärker naturwissenschaftlich gegründet „Lou Andreas–Salomés philosophisch inspirierter Idee von der Allverwobenheit (Spinoza) und komplementären Einheit des Organismus als Leib und Seele“, so Peter Achilles. Balints Arbeiten über die „Urformen der Liebe“, über „Primary love“ liegen nicht weit von diesen Ursprüngen ­entfernt.