Z Geburtshilfe Neonatol 2013; 217(01): 1-2
DOI: 10.1055/s-0033-1333703
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Außerklinische Geburtshilfe

Out-of-Hospital Obstetrics
W. Rath
1   Gynäkologie und Geburtshilfe, Medizinische Fakultät RWTH Aachen
,
S. Schmidt
2   Direktor der Klinik für Geburtshilfe und Perinatalmedizin Universitätsklinikum Giessen und Marburg GmbH, Standort Marburg, Marburg
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
25. Februar 2013 (online)

Das Thema der außerklinischen Geburtshilfe als Hausgeburt oder als Geburt in Geburtshäusern wird in Politik und Gesellschaft, den Medien, auf Kongressen und in Stellungnahmen der Fachgesellschaften sowie in aktuellen Übersichtsarbeiten der internationalen Literatur intensiv diskutiert.

Dabei sind die Entwicklungen in den Ländern Europas und in den USA unterschiedlich; während in den USA die Rate an Hausgeburten auf niedrigem Niveau zugenommen hat, ist in den Niederlanden mit traditioneller Hausgeburtshilfe die Zahl der Hausgeburten über die letzten 20 Jahre um mehr als 15% rückläufig. In Deutschland beträgt die Rate an außerklinischen Geburten weniger als 2% mit Abnahme der Hausgeburten, aber einer unübersehbaren Zunahme der Geburten in von Hebammen geleiteten Geburtshäusern während der letzten 10 Jahre.

Es ist nicht einfach, aus der Sicht zweier erfahrener Geburtshelfer, die jahrzehntelang in leitender Funktion an Perinatalzentren tätig waren/sind und die die Kliniksgeburt propagieren, ein wertungsfreies, nicht von eigenen Erfahrungen und Emotionen beeinflusstes Editorial diesem Themenheft voranzustellen.

Das Thema „Außerklinische Geburtshilfe“ liegt in einem weiten Spannungsfeld von hinsichtlich der Sicherheit unterschiedlich interpretierten Ergebnissen aus der Literatur, häufig diskrepanten und von individuellen Erfahrungen geprägten Empfehlungen von Hebammen und Geburtshelfern, unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten und dem verständlichen Wunsch der Schwangeren nach einer komplikationslosen Geburt in Anwesenheit vertrauter Personen und in vertrauter (häuslicher) Atmosphäre. Diese zuhause oder in Geburtshäusern zu erreichen ist im Allgemeinen einfacher als in der „sterilen“ Atmosphäre einer Geburtsklinik.

Die Sicherheit von Mutter und Kind, die Zufriedenheit der Schwangeren/der werdenden Eltern, Kosteneffektivität und das Selbstbestimmungsrecht der Frau sind akzeptierte Qualitätskriterien moderner Geburtshilfe.

Das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren, welches die heutige Geburtshilfe prägt und Spiegelbild eines gesellschaftlichen und medizinischen Wandels unserer Gesellschaft ist, schließt das Recht der Schwangeren ein, über den Ort der Geburt zu entscheiden; anders als in der tradi­tionellen Geburtshilfe sind in diesem Zusammenhang Hebammen und Ärzte heute Berater und Partner der Frau.

Auf der anderen Seite steht die Sorge der Schwangeren, die eine außerklinische Geburt plant, vor einem notfallmäßigen Transport in eine unter Umständen entfernt gelegene Geburtsklinik und die häufig nicht ausgesprochene Angst vor einer Schädigung des Kindes, wenn nicht sofort an Ort und Stelle adäquate und kompetente Hilfe zur Verfügung steht.

Richtungsweisende Bedeutung kommt dabei dem vorgeburtlichen Aufklärungsgespräch zu, welches im „Idealfall“ von betreuender Hebamme und betreuendem Arzt gemeinsam durchgeführt und den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Schwangeren Rechnung tragend bekannte Ergebnisse zur Sicherheit der außer­klinischen vs. der Kliniksgeburt berücksichtigen muss, ohne potentielle Risiken zu bagatellisieren oder zu dramatisieren und ohne die Wahl des Geburtsortes zu idealisieren oder zu ideoligisieren. Dies dürfte sich in der täglichen Praxis häufig als „mission impossible“ erweisen.

Beispielsweise bedürfen bekannte Ergebnisse aus der Literatur, wie das 2- bis 3-fach höhere Risiko für neonatalen Tod bei Hausgeburt vs. Kliniksgeburt und – vice versa – das 2,5-fach höhere Risiko für postpartale Blutungen bei Kliniks- vs. Hausgeburt der geduldigen Erklärung und realistischen Einschätzung durch die beteiligten Berufsgruppen. Eine von der Schwangeren als „tendenziös“ dekuvrierte Aufklärung ist keine vertrauensfördernde Maßnahme.

In einer Zeit, in der mehr denn je die Sicherheit von Mutter und Kind oberste Maxime geburtshilflichen Handelns ist und in der Komplikationen unter und nach der Geburt von den Beteiligten nicht mehr als „schicksalshaft“ akzeptiert und Sicherheitsstandards gefordert werden, kann die Diskussion um die Sicherheit von Mutter und Kind nicht vor dem respektierten Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren zur Wahl des Geburtsortes haltmachen. Die Diskussion zur Sicherheit (vor allem der erhöhten perinatalen/neonatalen Mortalität) hat auch vor dem Hintergrund bestand, dass – ungeachtet der oft fehlenden Risikoadjustierung verlegter Schwangerer – die „systemimmanenten“ Nachteile der Kliniksgeburt in einem WENIGER an Empathie und persönlicher Zuwendung (oft aus Zeit- und Personalmangel) mit daraus resultierenden Konsequenzen für den Geburtsverlauf und einem Mehr an Medikalisierung, operativen Interventionen und Dammverletzungen/Episiotomien liegen dürften.

Unübersehbare Probleme in der wissenschaftlichen Diskussion von sektorübergreifenden Studien um die Sicherheit der außerklinischen Geburt sind die erhöhte Gefährdung von Mutter und Kind bei notwendig werdendem Transport in eine Geburtsklinik, die immer auch eine traumatisierende psychische Belastung darstellt.

Internationale Leitlinien (RCOG, ACOG) unterstützen die Hausgeburt bei Frauen mit unkomplizierter Schwangerschaft oder, wie es in internationalen Publikationen heißt, bei „low-risk“ Schwangeren. Evidenzbasierte Kriterien, welche Schwangeren für eine außerklinische Geburtshilfe infrage kommen, gibt es aber bisher nicht.

Darüber hinaus ist die Selektion der Schwangeren im Rahmen der Schwangerenvorsorge nicht hinreichend. Es dürften einerseits die Risikokataloge des Mutterpasses nur eine grobe Orientierung liefern und andererseits auch eine noch so sorgfältige Schwangerenvorsorge nicht alle Schwangerschafts- und vor allem Geburtsrisiken erkennbar machen. Hinzu kommen unvorhersehbare und unkalkulierbare Notfallsituationen unter und nach der Geburt wie u. a. intrapartale Hypoxie, Schulterdystokie, Nabelschnurvorfall, vorzeitige Lösung und vor allem schwere postpartale Blutungen (immerhin 1,7% aller Geburten), die zwar im Einzelfall durch geschultes Personal überbrückbar sein mögen, aber sicherlich bei Akutbehandlung in einer Geburtsklinik eine bessere Prognose aufweisen. Dass mit dem Transport von Haus in Geburtsklinik signifikant erhöhte Risiko für perinatalen/neonatalen Tod wird in der Mehrzahl aktueller Studien nicht ­bestritten.

Ungeachtet aller von Befürwortern und Gegnern der außerklinischen Geburtshilfe zitierten Studien und deren Interpretationen wird immer das Einzelschicksal im Schadensfall (gilt für außerklinische Geburt und Kliniksgeburt) schwerer wiegen als auf statistischer Signifikanz beruhende Argumente. Auch die low-risk Schwangere weist ein hinsichtlich Qualität und Quantität schwer zu definierendes Restrisiko auf, welches sie unabhängig von professioneller Unterstützung letztlich allein gegen ihren Wunsch nach außerklinischer Geburt abwägen muss und zu tragen hat und welches nach unserer Einschätzung vor allem für das Kind in Anbetracht hoher Transportraten (vor allem bei Nulliparae) größer ist als bei der Kliniksgeburt.

Patientenzufriedenheit und ökonomische Gesichtspunkte spielen heute überall in der Medizin eine bedeutende Rolle, deren Berücksichtigung sich aber gerade in der Geburtshilfe nicht immer mit höchstmöglicher Sicherheit und Qualität zur Deckung bringen lässt.

Leiter und Mitarbeiter geburtshilflicher Abteilungen sollten nicht müde werden, ihren administrativen Entscheidungsträgern klar zu machen, dass die Sicherheit von Mutter und Kind, aber auch alle Maßnahmen der Verbesserung einer von Empathie geprägten Betreuung durch das Personal (Personalbedarf) in einer entspannten, familiären Umgebung und Einrichtung die Wahl des Geburtsortes und den Erfolg einer Geburtsklinik maßgeblich beeinflussen. Hier besteht in Deutschland – ungeachtet immer knapper werdender finanzieller Ressourcen – vielerorts Nachholbedarf.

Die aufkommende Diskussion über die Forderung nach einer Steigerung außerklinischer Geburtshilfe sollte den Geburtshelfern und ihren Administrationen Anlass sein, Strukturen, Ausbildung und klinisches Vorgehen den Wünschen und Bedürfnissen der Schwangeren/der werdenden Eltern anzupassen im Sinne einer sicheren, von „häuslicher“ Atmosphäre geprägten und familienorientierten Geburt (Geburtshilfe).

Im Rahmen dieser Ausgabe der ZGN wird in einer Übersichtsarbeit die internationale Diskussion zur außerklinischen Geburtshilfe präsentiert. Frau Prof. Dr. B. Arabin war Mitautorin einer jüngsten Grundsatzpublikation im amerikanischen Schrifftum.

Eine Versorgungsanalyse aus Perinataldaten der hessischen Perinatalerhebung wurde durch Frau Dr. Susanne Bauer mit den leider nur begrenzt verfügbaren Daten in Geburtshäusern verglichen.

Wir hoffen, dass die Leserinnen und Leser der ZGN an diesem spannenden und aktuellen Thema Interesse finden.

Prof. Dr. W. Rath

Prof. Dr. S. Schmidt