neuroreha 2012; 4(04): 154-155
DOI: 10.1055/s-0032-1331355
Aktuelles aus der Forschung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Unterschiedliche Effekte von Krafttraining und aufgabenspezifischem Üben nach Schlaganfall

Contributor(s):
Jan Mehrholz
1   Prof. Dr. rer. medic. habil. Jan Mehrholz, SRH Hochschule für Gesundheit, Gera gGmbH, Villa Hirsch, Hermann-Drechsler-Str. 2, 07548 Gera
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
29 November 2012 (online)

Zusammenfassung der Studie

Ziele

Ziel der Studie war es, die verschiedenen Effekte von Krafttraining und aufgabenorientiertem Üben nach Schlaganfall auf motorische Fähigkeit zu evaluieren.


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Methodik

Patienten

14 Studienteilnehmer stellte das Forscherteam für diese Studie zusammen und randomisierte die Teilnehmer in zwei Interventionsgruppen – stratifiziert nach motorischer Funktion (acht Patienten in Gruppe A und sechs Patienten in Gruppe B). 2 von den 14 Teilnehmern waren Frauen. Alle Patienten erhielten die gleiche Therapie, nur in unterschiedlicher zeitlicher Reihenfolge: Interventionsgruppe A erhielt Versuchsplan A und Gruppe B erhielt Versuchsplan B.


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Design

Es handelt sich um eine verblindete, randomisierte und kontrollierte Cross-over-Studie (RCT).

Die Untersucher nahmen Patienten mit Halbseitenlähmung innerhalb der ersten 6 Monate bis 26 Monate nach erstem Schlaganfall, aktiver Bewegung in den großen Schulter- und Ellbogenmuskeln, aktiver Handgelenksextension und Extensionsmöglichkeit von zwei Fingern in die Studie mit auf.

Gleichzeitig schlossen sie Patienten mit deutlichen Armschmerzen, Einschränkungen der passiven Gelenkbeweglichkeit oder der Propriozeption in Ellbogen und Schultergelenken, mit Läsionen im Hirnstamm oder Kleinhirn, mit kognitiven Defiziten, die ein Verstehen eines Drei-Schritte-Kommandos unmöglich machen, oder instabile kardiovaskuläre oder orthopädische oder neurologische Probleme, die Übungen erschweren, aus.


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Interventionen

Die Probanden der Gruppe A bekamen zuerst ein zehnwöchiges aufgabenorientiertes Übungsprogramm (dreimal wöchentlich à 90 Minuten). Anschließend führten sie ein zehnwöchiges Krafttrainingsprogramm durch (dreimal wöchentlich à 90 Minuten). Teilnehmer der Gruppe B erhielten zuerst ein zehnwöchiges Krafttrainingsprogramm (dreimal wöchentlich à 90 Minuten) und anschließend ein zehnwöchiges aufgabenorientiertes Übungsprogramm (dreimal wöchentlich à 90 Minuten). Alle Patienten erhielten somit vergleichbare Therapieinhalte, nur in verschiedener Reihenfolge. Jeder Patient erhielt im Rahmen der Studie insgesamt 90 Therapiestunden mit einem Physiotherapeuten.

Beschreibung des Krafttrainingsprogramms (power training, POWER):

  • Für die Therapieinhalte des Krafttrainingsprogramms entwickelten die Autoren ein Manual mit genauen Vorgaben zur Intensität, welches sechs wesentliche Hauptkomponenten enthielt: fünf reziproke Armbewegungen (Schulter Abduktion/Adduktion, Flexion/Extension, Innen- und Außenrotation, Ellbogen Flexion/Extension in der Transversalebene und Flexion/Extension), die mit einem Dynamometer (Biodex System 3.0 Pro) geübt wurden. Es wurde eine standardisierte Steigerung vorgenommen hinsichtlich der Bewegungsgeschwindigkeit und der Anzahl der Übungssätze (10 Wiederholungen pro Satz).

Beschreibung des aufgabenorientierten Übungsprogramms (functional task practice, FTP):

  • In FTP übten die Patienten spezielle funktionelle Aufgaben in neun Aktivitätskategorien (wie u. a. Essen und Kochen, Waschen, Malen, aber auch Fangen/Greifen – Loslassen) unter Steigerung von sechs therapeutischen Zielen (wie z. B.: 1. Erreichen eines normalen skapulothorakalen-humeralen Rhythmus, 2. Erreichen einer Bewegung gegen die Schwerkraft, 3. Verbesserung der Beweglichkeit der Schultergelenksaußenrotatoren und der Dehnfähigkeit der Fingerflexoren, 4. Verbesserung bilateraler Bewegungen, 5. Verbesserung der Hand-Greif-Manipulation und 6. kontrollierte Ellbogenbewegung).


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Ergebnisparameter

Alle klinischen und kinematischen Messungen führten die Forscher mittels verblindeten Untersuchern zu Beginn, zum Ende des ersten und zum Ende des zweiten Therapieblocks durch.

Zu den klinischen Messungen zählten die modifizierte Ashworth-Skala, der Fugl-Meyer Test für die obere Extremität, die European Stroke Scale, der Chedoke-McMaster Hand and Arm Inventory (CMHAI) und der Reintegration to Normal Living Index.

Kinematische Messungen nutzte das Team, um funktionelles Reichen und Greifen zu messen. Die Patienten saßen dabei auf einem Stuhl mit der paretischen Hand auf der ipsilateralen Hüfte, die Schulter in neutraler Stellung für Flexion/Extension und Innenrotation und der Ellbogen bei 75° bis 90° Beugung und pronierter Hand. Dann forderte der Physiotherapeut den Probanden zweimal auf, sich eine gefüllte Wasserflasche von einem Tisch zu greifen und „heranzuholen“ (die Flasche stand im Abstand von etwa 80% der individuellen Armlänge vom Patienten). Ein Kamerasystem (sieben Kameras Motion Capture System nahm die Bewegungen von 16 reflektierenden Markern auf. Damit ließ sich ein dreidimensionales Bewegungsbild beim Greifen der Wasserflasche der Arm- und Rumpfbewegungen aufzeichnen.


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Ergebnisse

Zu Beginn der Studie waren die Patienten im Mittel 59,8 (± 15,0) Jahre, die mittlere Krankheitsdauer betrug 15 (± 7) Monate, und die Patienten hatten einen Fugl-Meyer-Wert für die obere Extremität von im Mittel 33,7 (± 9,6); beide Gruppen waren hinsichtlich wichtiger prognostischer Variablen vergleichbar.

In Bezug auf die klinischen Parameter gab es zwar, über alle Patienten betrachtet, eine klinisch bedeutsame Gesamtverbesserung. Die unterschiedlichen Interventionen – funktionelles Üben bzw. Krafttraining – erzielten jedoch keine signifikant unterschiedlichen klinischen Ergebnisse.

In den kinematischen Parametern gab es dagegen signifikante Unterschiede zwischen den beiden Interventionen hinsichtlich des Bewegungsausmaßes der Ellbogenextension und der Bewegungszeit für die Rumpfverlagerung zum Vorteil des Krafttrainings.

Die Bewegungsgeschwindigkeit verbesserte sich im Verlauf tendenziell nach FTP mehr, wohingegen die Rumpfverlagerung sich tendenziell nach Krafttraining mehr verbesserte.


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Schlussfolgerung

Die Autoren schlussfolgern, dass beim funktionellen Üben teilweise eine Kompensation eingesetzt wird, um funktionelle Bewegungsziele zu erreichen. Für das Power Training interpretieren die Autoren ihre Ergebnisse so, dass nach achsengerechtem Krafttraining sich ein „normaleres“ Muster beobachten lässt.


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