Dialyse aktuell 2012; 16(7): 369
DOI: 10.1055/s-0032-1329382
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Musste das sein?

Christian Schäfer
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Publication Date:
28 September 2012 (online)

Diese Frage schoss mir in den Kopf, als die ersten Nachrichten zum „Organspendeskandal“ in der zweiten Julihälfte erschienen. Und vor allem: Gerade jetzt? In der letzten Ausgabe der Dialyse aktuell hatte ich im Editorial noch etwas zu den neuen Transplantationsgesetzen geschrieben. Diese hatten im Juni den Bundesrat passiert und das „Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes“ mit der Unterschrift des Bundespräsidenten gilt seit dem 01.08.2012. Das „Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz“ tritt am 01.11.2012 in Kraft. Letztendlich war ich positiv gestimmt, dass sich mit den neuen Regelungen mehr Menschen für einen Organspendeausweis entscheiden und somit die Organspendezahlen wachsen.

Laut einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, die die dpa in Auftrag gegeben hat, sind aber zurzeit nur noch 42 % der Deutschen prinzipiell dazu bereit, ihre Organe nach dem Tod zu spenden. Das ist ein Rückgang von circa 30 %, wenn man dies mit Umfragen aus den letzten Monaten und Jahren vergleicht. Außerdem zeigt die Umfrage, dass viele Deutsche (69 %) davon überzeugt sind, dass man sich mit entsprechend viel Geld an der Warteliste für ein Spenderorgan „vorbeikaufen“ kann. Wen wundert es angesichts der aktuellen Entwicklungen!

Was war passiert? Im Universitätsklinikum Göttingen soll ein seit Herbst 2008 als Leiter der Transplantationsmedizin angestellter Arzt im großen Stil Laborwerte gefälscht und Dialysetherapien angegeben haben, die nicht stattfanden. Dies alles soll er getan haben, um bestimmte Patienten auf der Warteliste für Transplantationen der Stiftung Eurotransplant „nach oben“ zu bringen. In Göttingen hatte man sich von dem Mediziner bereits Ende 2011 getrennt: Damals sollen schon erste Unstimmigkeiten bekannt geworden sein. Schon 2006 soll der Transplantationsarzt am Universitätsklinikum Regensburg Eurotransplant nicht informiert haben, dass er eine Spenderleber nach Jordanien exportierte, statt sie in seiner Station zu verwenden. Auch sollen er und sein damaliger Chef in der Regensburger Universitätsmedizin an weiteren undurchsichtigen Lebertransplantationen in Jordanien beteiligt gewesen sein. Allerdings waren diese Vorwürfe in Göttingen zum Zeitpunkt seiner Einstellung offenbar nicht bekannt.

Einzelne hatten bisher die Gelegenheit, die Lücken im System schamlos auszunutzen. Von daher ist es nun wichtig, diese Lücken möglichst zu schließen. Die tiefe Erschütterung der kompletten deutschen Transplantationsmedizin zeigt Wirkung: In Göttingen darf nun nur noch der Transplantationsbeauftragte Laborwerte in die Datenbank eingeben. Prof. Wolf Bechstein, Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, sagte gegenüber der „Ärzte Zeitung“, dass inzwischen ein Dialysearzt bestätigen müsse, dass ein Patient eine Blutwäsche benötigt. Bayern hat Mitte August das 6-Augen- statt dem 4-Augen-Prinzip in Transplantationszentren eingeführt. Ebenfalls kündigte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) an, dass Transplantationszentren künftig unter Androhung von Abzügen alles dokumentieren müssen, was bisher so nicht erfüllt ist. Die ärztliche Selbstverwaltung richtete den Wunsch an die Politik, sie künftig mit „polizeilichen Kompetenzen“ auszustatten. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat daraufhin zu einem Treffen aller Organisationen eingeladen, die an der Organspende beteiligt sind.

Diese Maßnahmen und Diskussionen sind auch nötig: Das Unangenehme an diesem sensiblen Thema ist, dass schon ein Verdacht auf Unstimmigkeiten genügt, um Misstrauen in der Bevölkerung zu säen. Es ist nun sehr wichtig, das Vertrauen der Bürger in eine faire Verteilung der Organe zurückzugewinnen, damit sich die Organspendebereitschaft wieder erhöht – das ist für Menschen essenziell, die zum Beispiel auf eine Nierenspende warten.

Vor diesem Hintergrund möchte man sich am liebsten erst einmal mit etwas anderem aus der Nephrologie beschäftigen. Die vorliegende Ausgabe der Dialyse aktuell bietet eine gute Gelegenheit hierfür: So greifen wir mit dem Schwerpunktthema „Ernährung von Dialysepatienten“ ab Seite 388 ein sehr wichtiges Thema für die Praxis auf. Viel Spaß beim Durchstöbern der Inhalte dieses Heftes!