PPH 2012; 18(05): 278
DOI: 10.1055/s-0032-1329124
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Rezension
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Friederike Schmidt: Nutzen und Risiken psychoedukativer Interventionen für die Krankheitsbewältigung bei schizophrenen Erkrankungen

Contributor(s):
Christoph Müller
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Publication Date:
09 October 2012 (online)

Über alle Maßen hinaus kann man in der psychiatrischen Arbeit seine Energie nutzen, um den psychisch kranken Menschen zu helfen und vor allem aber auch gerecht zu werden. Ob der Einsatz helfender Menschen an die Bedürfnisse der betroffenen Menschen angepaßt ist, darüber gibt es wenige Erkenntnisse. Deshalb ist der Psychologin Friederike Schmidt zu danken, die mit ihrer Studie „Nutzen und Risiken psychoedukativer Interventionen für die Krankheitsbewältigung bei schizophrenen Erkrankungen“ aufzeigt, dass der emotionale wie inhaltliche Abgleich zwischen helfenden und psychiatrie-erfahrenen Menschen in großem Maße noch zu leisten ist. Schon beim kurzen Schmökern des Buchumschlags ahnt man, was einen erwartet. Schließlich steht dort: „Dabei kommt sie zu der ernüchternden Erkenntnis, dass kurze psychoedukative Interventionen, die vornehmlich auf Krankheitseinsicht, Medikamentencompliance und Rückfallprophylaxe fokussiert sind, die Gefahr bergen, dass sich Patienten entweder durch starke Identifikation mit der Krankheit in eine passive Krankenrolle fügen oder sich durch die Abgrenzung von der Krankheit der Behandlungsmöglichkeiten entziehen.“

Schwierig erscheint es während der Lektüre des gesamten Buches „Nutzen und Risiken psychoedukativer Interventionen …“, den subjektiven Charakter der psychiatrischen Erkrankung und die subjektive Sicht der betroffenen Menschen in den Blick zu nehmen. Genauso wird es während des Lesens deutlich, dass psychoedukative Interventionen einen starken unterichtenden und unterstützenden Charakter zu haben scheinen. Nur erscheint es in der psychiatrischen / sozialpsychiatrischen Literatur immer mehr zum Paradigma zu werden, dass die betroffenen Menschen eine gehörige Portion mitzureden haben. Diesem Leitbild wird die Berliner Psychologin Friederike Schmidt gerecht, wenn sie qualitativ wie quantitativ arbeitet. So wie sie es schafft, immer wieder den fachlichen Anspruch und die fachlichen Erwartungen zu beschreiben, die es in der psychiatrischen Fachwelt gibt, so vermag sie es in der gleichen einfühlsamen Weise, die Sicht der psychiatrie-erfahrenen Menschen zu dokumentieren. Beispielsweise schreibt die Charite-Mitarbeiterin: „Durch den Fokus auf die Gefahr von Rückfällen und die daraus erwachsende Notwendigkeit, Stress zu vermeiden wird eher eine ängstlich pessimistische Sicht auf die eigene Zukunft gefördert ….. Die vermittelten Informationen verstärken eher die ausschließliche Konzeption der Krankenrolle, als dass sie sie auflockern …“

Wenn man die Erkenntnisse der Studie „Nutzen und Risiken psychoedukativer Interventionen …“ ernstnimmt, so steht die Frage im Raum, in welcher Weise die zahlreichen krankheitsspezifischen Psychoedukationsprogramme an die Bedürfnisse und die Grundhaltungen von Helfenden und Leidenden angepasst werden muss, damit die Autonomie und das Expertentum der Betroffenen weiterhin gestärkt werden kann. Gerade die sozialpsychiatrischen Vordenker könnten mit einem guten Beispiel vorangehen. Die psychisch kranken Menschen werden es ihnen danken.

Christoph Müller