Zusammenfassung
Einleitung: Die korrekte Bestimmung der Achsabweichung proximaler
Humerusfrakturen ist essenziell für eine rationale Therapie, insbesondere im
Wachstumsalter. Aufgrund der Frakturschmerzen gelingt die korrekte
Einstellung der Standardröntgenprojektionen oft nicht und kann, im Gegensatz
zur Bildgebung an anderen Gelenken, anhand der Röntgenbilder nur
unzureichend geprüft werden. Auch bei korrekten Projektionsebenen kann die
Richtung der maximalen Achsabweichung noch 45° von beiden Projektionen
abweichen und damit eine korrekte Messung der Achsabweichung unmöglich
machen. Ziel dieser Untersuchung war es, die Fehlerquellen bei der
Bestimmung der Achsabweichung zu objektivieren und damit Ansatzpunkte zur
Verbesserung zu identifizieren. Methodik: Im Rahmen einer 3-stufigen
Untersuchung wurde zunächst in Zusammenarbeit mit der Fakultät für
Mathematik der Universität Duisburg-Essen ein mathematisches Modell zur
Abschätzung des Projektionsfehlers bei Rotation und Verkippung entwickelt.
Das mathematische Modell wurde dann mit einem Frakturphantom in der Praxis
überprüft, indem mit einem 120° gebogenen Draht, der einer Frakturabkippung
von 60° entspricht, Röntgenaufnahmen in verschiedenen Rotations- und
Kippwinkeln sowie Kombinationen daraus angefertigt und mit den mit o. g.
Modell berechneten Werten verglichen wurden. Im Anschluss wurden 2
erfahrenen unfallchirurgischen und 3 erfahrenen radiologischen Fachärzten in
zufälliger Reihenfolge Serien von Bildwandleraufnahmen einer unverletzten
rechten Schulter in verschiedenen Rotations- und
Ante-/Retroversionsstellungen präsentiert und die Einschätzung zu Rotation
und Kippung abgefragt, um zu prüfen, ob eine Fehlprojektion anhand der
Röntgenaufnahmen sicher erkannt werden kann. Ergebnisse: Resultat der
theoretischen Vorüberlegungen war eine mathematische Funktion, mit der sich
aus Rotation und Kippung und Achsabweichung direkt die Projektion der
Achsabweichung auf den Röntgenfilm berechnen lässt. Im Rahmen der
praktischen Prüfung dieser Werte fand sich eine mittlere Abweichung der
berechneten von den im Röntgenbild gemessenen Werten von 0,5° (0–1,2°). Bei
der Beurteilung der Röntgenbilder in verschiedenen Rotations- und
Kippstellungen waren nur 2 von 50 (4 %) Einschätzungen korrekt, in weiteren
28 Fällen (56 %) war die Tendenz bei der Beurteilung Außen-/Innenrotation
korrekt, das Ausmaß der Fehlstellung wurde um durchschnittlich 19,6° (0–60°)
falsch eingeschätzt. Bei der Ante-/Retroversion war die Tendenz in 9 Fällen
(18 %) korrekt mit einer mittleren Fehleinschätzung um 23° (0–50°). In 7
Fällen (14 %) war die Tendenz in beiden Achsen korrekt, in 11 Fällen (22 %)
war in mindestens 1 der beiden Einschätzungen keine Aussage möglich
(„n. m.“), in weiteren 8 Fällen (16 %) wurde zwar eine Tendenz angegeben, es
war aber keine Aussage zur Quantifizierung möglich. Diskussion:
Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Rotation und Kippung des Humerus auf dem
Röntgenbild einen entscheidenden Einfluss auf die Achsbestimmung hat, im
Röntgenbild aber nicht mit ausreichender Sicherheit bestimmt werden kann.
Diese Problematik ist klinisch relevant, da die reelle Möglichkeit einer
Fehlprojektion besteht, in unserer Stichprobe bis 27,8°. Die Problematik ist
besonders am wachsenden Skelett relevant, sodass hier neue Ansätze zur
sicheren Bestimmung der Achsabweichung notwendig erscheinen.
Abstract
Introduction: The accurate measurement of the deformity of proximal
humerus fractures is essential for a proper treatment, particularly in the
growing bone. Due to the local pain the correct projection in standard
X-rays is difficult to achieve and, in contrast to other joints, cannot be
verified in the X-ray. Even with the correct projections a mismeasurement
can occur when the rotation is 45° to both planes. The aim of this study was
to objectify the error sources and reveal starting points for an
improvement. Material and Methods: In a three-step study we initially
developed a mathemathical formula in cooperation with the faculty of
mathematics of the University of Duisburg-Essen. This formula was proved
with X-ray imaging of a steel rod which was bent 120°, simulating a 60°
deformity. X-ray images with different rotation and tilt were taken and
compared with the values calculated with the above-mentioned formula. In the
third step X-rays of a healthy shoulder in different rotation and tilt
positions were presented to 2 orthopaedic and 3 radiological consultants.
The aim was to determine the direction and amount of rotation and tilt.
Results: The first theoretical step resulted in a mathematical
formula which describes the optical deformation based on real deformation,
tilt and rotation. The evaluation showed a mean difference of 0.5° (0–1.2°)
between the calculated and the measured values. In the third step,
evaluation of the X-rays of a shoulder showed that two in 50 (4 %) of the
values were correct, in additional 28 cases (56 %) the tendency of the
direction of the rotation was correct, the extent of the rotation was missed
by 19.6° (0–60°). Ante- and retroversion were evaluated correctly in nine
cases (18 %), the extent was missed by a mean of 23° (0–50°). In seven cases
(18 %) the tendency for rotation and ante-/retroversion was correct, in 11
cases (22 %) one or both aspects could not be evaluated, in additional 8
cases (16 %) the extent could not be estimated. Discussion: Our
results show that rotation and tilt of the proximal humerus cannot be
estimated in shoulder X-rays and therefore a reliable measurement of the
deformity of proximal humerus fractures is extremely unsafe. This problem is
relevant for clinical practice because of the high likeliness of unaccurate
projections in shoulder X-ray imaging after trauma. Especially for the
growing bone the problem is evident, so that new ways of determining the
deformity are mandatory.
Schlüsselwörter
Radiologie - subkapital - Humerusfraktur - Diagnostik
Key words
radiology - subcapital - humerus fracture - diagnosis