Rehabilitation (Stuttg) 2012; 51(05): 281
DOI: 10.1055/s-0032-1327602
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rehabilitation und Migrationshintergrund

Rehabilitation and Migration Background
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Publication Date:
15 October 2012 (online)

Art und Umfang von Rehabilitationsleistungen orientieren sich am individuellen Bedarf der Rehabilitanden und Rehabilitandinnen. Entsprechend enthalten Rehabilitationskonzepte der Leistungsträger sehr differenzierte, indikationsabhängige Anforderungen an die Einrichtungen der Rehabilitation und ihre interdisziplinären Rehabilitationsteams. Der Grundsatz der individuellen Behandlung gilt für Rehabilitanden mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen. Für Personen mit Migrationshintergrund ist die Realisierung dieses Grundsatzes allerdings weniger selbstverständlich und erfordert Vorkehrungen in den Einrichtungen sowie auch eine besondere Einstellung und Kompetenz der Teams. Da eine flächendeckende Angebotsstruktur für die Belange von Versicherten mit Migrationshintergrund nur schwierig realisierbar ist, streben die Träger (s. z. B. Rahmenkonzept der DRV) eine ausreichende Zahl von Einrichtungen mit speziellen Kompetenzen und Angeboten für diese Zielgruppe an (z. B. Mehrsprachigkeit des Personals, Kenntnisse über andere Kulturkreise, besondere räumliche Angebote). Bisher gibt es allerdings nur wenige Informationen darüber, inwieweit diese Ausgestaltung inzwischen erfolgreich implementiert werden konnte.

Auch liegen in der rehabilitationswissenschaftlichen Forschung nur relativ wenige Untersuchungen zum Migrationshintergrund von Rehabilitanden vor. Einerseits gibt es Hinweise, dass die Frühberentungsquoten bei Personen mit Migrationshintergrund höher sind als bei deutschen Arbeitnehmern. Andererseits sind Personen mit Migrationshintergrund offenbar in der Rehabilitation eher unterrepräsentiert und weisen zudem einen geringeren Reha-Erfolg auf. Aus diesem Grunde möchten wir in diesem Heft auf einen Beitrag von Brause et al. besonders hinweisen, der sich diesem Themenkreis nähert. Anhand der Routinedaten von Trägern der Deutschen Rentenversicherung wurden u. a. die Inanspruchnahmestruktur sowie der Rehabilitationserfolg türkischer Rehabilitanden (anhand der sozialmedizinischen Beurteilung zum Reha-Ende) in ausgewählten Indikationen untersucht und verglichen. Im Ergebnis zeigte sich, dass türkische Männer und Frauen bei den psychosomatischen Erkrankungen über-, bei den anderen Indikationen eher unterrepräsentiert sind. Die Analysen ergaben weiterhin, dass der Migrationsstatus einen eigenständigen Einflussfaktor für den Rehabilitationserfolg bildet. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die „Verbesserungsquote“ bei nicht-türkischen Personen in den meisten Indikationen deutlich höher ist als bei Personen mit türkischem Migrationshintergrund. Ergebnisse aus dem Gesamtprojekt [1] deuten zudem darauf hin, dass die oben erwähnten Anforderungen an Einrichtungen noch nicht in dem gewünschten Umfange umgesetzt werden konnten.

Weitere Beiträge in diesem Heft beziehen sich auf unterschiedliche Themen. Gerdes et al. haben ein ICF-basiertes Assessmentinstrument (SINGER) für die neurologische und geriatrische Rehabilitation entwickelt und validiert. Feicke und Spörhase machen Vorschläge, wie Erkenntnisse aus der Bildungsforschung und Didaktik für die Qualität von Patientenschulungen genutzt werden können. Ernst und Hübner stellen die Ergebnisse einer randomisierten Studie zur Nachsorge bei Diabetes mellitus (Intervallrehabilitation mit telefonischer Nachbetreuung und Auffrischungswoche) vor. Deck et al. setzen sich ebenfalls mit der Nachsorgephase (am Beispiel chronischer Rückenschmerzen) auseinander und untersuchen eine neue „Nachsorgestrategie“. Steffen et al. untersuchen in einer Fall-Kontroll-Studie den Erfolg der ambulanten Suchttherapie bei Patienten im höheren Lebensalter, einer an Bedeutung zunehmenden Gruppe. In der Rubrik „Methoden der Rehabilitationsforschung“ analysieren Schuler und Jelitte in Teil 1 ihrer Studie methodisch und inhaltlich Fragen der Invarianz von Messungen anhand eines Querschnittsvergleichs am Beispiel gesundheitsbezogener Lebensqualität. Die Fortsetzung folgt im nächsten Heft am Beispiel einer Längsschnittuntersuchung.

Zusätzlich zu unserem Standardangebot an Originalarbeiten bieten wir unseren Lesern 3 inhaltlich zusammenhängende, sozialmedizinisch besonders relevante Beiträge zu dem Sonderthema „Beschwerdenvalidierung“ am Beispiel psychosomatischer Erkrankungen an (s. dazu ausführlicher die Einleitung von Petermann). Neben den Mitteilungen und Terminen berichten Sewöster und Werner abschließend in der Rubrik „Berichte“ über das 21. Rehabilitationswissenschaftliche Kolloquium in Hamburg.·

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  • Literatur

  • 1 Brause M, Reutin B, Schott T et al. Migration und gesundheitliche Ungleichheit in der Rehabilitation. Abschlussbericht. Bielefeld: Universität Bielefeld; 2010