Neonatologie Scan 2012; 01(02): 129-145
DOI: 10.1055/s-0032-1325853
Fortbildung
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Diagnostik und Behandlung zerebraler Anfälle in der Neonatalperiode

Gerhard Jorch
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Publikationsdatum:
01. Dezember 2012 (online)

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Einleitung

Der Verdacht auf zerebrale Anfälle bei Früh- und Reifgeborenen löst dringenden Handlungsbedarf aus, da solche Anfälle Hinweis auf eine behandlungspflichtige Ursache und bei Fortdauer gesundheitsschädlich sein können. Aufgrund der Komplexität der Diagnostik und Differenzialdiagnostik sowie den potenziellen Nebenwirkungen einer voreiligen oder überzogenen Therapie ist eine besonnene Vorgehensweise mit Beantwortung folgender Fragen geboten:

  • Handelt es sich um einen zerebralen Anfall?

  • Welche Ursache haben diese Anfälle?

  • Welche Therapie ist dringlich?

Meist wird die Prognose bei Patienten mit zerebralen Anfällen durch die Grundkrankheit bestimmt. Die Anfälle sind somit ein Hinweis darauf, dass die Grundkrankheit das Gehirn strukturell geschädigt hat. Die Anfälle sind bei diesen Diagnosen Teil der Symptomatik und Krankheitsfolgen. Dies trifft zu auf [1]:

  • hypoxisch-ischämische Enzephalopathie nach perinataler Asphyxie

  • perinataler Hirninfarkt

  • neonatale Meningoenzephalitis

  • intrazerebrale Blutung

  • periventrikuläre Leukomalazie (Abb. [1])

  • angeborene Hirnfehlbildungen

  • epileptogene Gendefekte

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Abb. 1 Verlauf einer periventrikulären Leukomalazie in der sonografischen Bildgebung. a Die verstärkte Echogenität als möglicher Hinweis auf eine Schädigung des periventrikulären Marklagers zeigt sich bereits in den ersten Tagen nach der Schädigung. b Zysten werden nicht vor dem 10. Tag nach Schädigung erkennbar und kollabieren später. Zerebrale Anfälle können während oder unmittelbar nach dem Schädigungsereignis auftreten.

Die Behandlung der Anfälle ist Teil der symptomatischen Therapie. Ein Nutzen der Anfallsbehandlung für die Gesamtprognose wird hier grundsätzlich angenommen, sollte aber nicht überschätzt werden. Dieses gilt insbesondere auch für die multikausalen Hirnschadensbilder bei sehr unreifen Frühgeborenen mit schwerer intrazerebraler Blutung bzw. zystischer periventrikulärer Leukomalazie (Abb. [2]).

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Abb. 2 Schema der komplexen Verursachung von Hirnschäden bei Frühgeborenen. Zerebrale Anfälle geben einen Hinweis auf den Schweregrad der Schädigung. Ihre Rolle bei der Verursachung der Schädigung bzw. Verstärkung des Hirnschadens ist unklar.

Anders kann es sich bei Anfällen durch Stoffwechselentgleisungen oder spezifischen angeborenen Stoffwechselstörungen verhalten, die zunächst nur eine funktionelle Beeinträchtigung des Hirns hervorrufen. Eine rechtzeitige gezielte Behandlung kann Hirnschäden vermeiden. Zu dieser Ursachengruppe gehören die Hypoglykämie, die Hypokalzämie, die Hypomagnesiämie und Störungen des Pyridoxinstoffwechsels. Diese sollten deshalb zunächst ausgeschlossen bzw. nachgewiesen und durch Substitution der jeweiligen Mangelsubstanz therapiert werden.

Merke: Vorrangig ist bei zerebralen Anfällen in der Neonatalperiode die rasche Identifikation behandelbarer Ursachen wie Hypoglykämie, Hypokalzämie u. a. (Infobox).

Zerebrale Anfälle sind in der Neonatalperiode häufiger als im späteren Leben. So zeigen 1 von 1000 Reifgeborenen und 10 von 1000 Frühgeborenen zerebrale Anfälle in den ersten 4 Lebenswochen [2].

Kausal behandlungsfähige bzw. -pflichtige Ursachen von zerebralen Neugeborenenanfällen
  • Hypoglykämie

  • Hypokalzämie

  • Hypomagnesiämie

  • Störung des Wasser-/Elektrolythaushalts

  • Störung des Pyridoxinstoffwechsels

  • andere Stoffwechselerkrankungen

  • Meningoenzephalitis

  • zerebrale Läsionen mit Hirndruck