Lege artis - Das Magazin zur ärztlichen Weiterbildung 2012; 2(4): 213
DOI: 10.1055/s-0032-1325304
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sterbehilfe

Daniela Erhard
,
Peter Galle
,
Götz Geldner
,
Alfred Königsrainer
,
Frank-Gerald Pajonk
,
Julia Rojahn
Further Information

Publication History

Publication Date:
24 September 2012 (online)

Liebe Leserin, lieber Leser,

können Sie sich vorstellen, einem Patienten eine tödliche Dosis eines Medikaments auf dem Nachttisch bereitzustellen? Ihre instinktive Antwort lautet wahrscheinlich: „Natürlich nicht!“ Aber was, wenn der Patient unheilbar krank ist, sein Leben als Qual empfindet und nur noch eines will: sterben? Einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2009 zufolge käme es für jeden 3. Arzt in Deutschland infrage, in einem solchen Fall Beihilfe zum Suizid zu leisten. Strafrechtlich ist das auch erlaubt – trotzdem schrieb der Deutsche Ärztetag 2011 ein deutliches Verbot in die Musterberufsordnung.

In unseren Nachbarländern beobachtet man eher die umgekehrte Entwicklung:

  • In den Niederlanden machten Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen im Jahr 2010 schon fast 3 % aller Todesfälle aus.

  • Als erster Schweizer Kanton hat Waadt beschlossen, begleiteten Suizid auch in öffentlichen Kliniken und Heimen zuzulassen.

  • Und in Frankreich will der neue Präsident Hollande eine landesweite Debatte über das bestehende Verbot von aktiver Sterbehilfe anstoßen.

Auch deutsche Gerichte haben zumindest soviel klargestellt: Der Patient kann jede medizinische Behandlung jederzeit ablehnen. So befand der Bundesgerichtshof 2010 in einem wegweisenden Urteil: „Das [...] Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen legitimiert die Person zur Abwehr gegen nicht gewollte Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit und in den unbeeinflussten Fortgang ihres Lebens und Sterbens.“

Diese Priorität für den Willen des Patienten zeigt auch die Richtung auf für eine weitere Form der Sterbehilfe: Rechtzeitig das Behandlungsziel zu ändern und alle Möglichkeiten der Palliativmedizin auszuschöpfen, wenn eine lebenserhaltende Therapie nicht mehr indiziert ist – oder der Patient sie nicht mehr will. Das kann soweit gehen wie bei dem Philosophen und Publizisten Claus Koch: Schwer krank, aber bei klarem Verstand und mit ärztlicher Begleitung, stellte er Essen und Trinken ein – und starb 8 Tage später. Ein solcher Tod war ihm lieber als sedierende Medikamente (SZ vom 30.05.2011).

Mehr zur juristischen und ethischen Debatte lesen Sie auf q S. 228 in diesem Heft. Denn auch wenn wir Ihnen wünschen, dass Sie nie um Hilfe beim Suizid gebeten werden: Über Behandlungen am Lebensende müssen viele Ärzte früher oder später (mit)entscheiden.

Mit herzlichen Grüßen

Ihre Herausgeber und Ihre Redaktion

Herausgeber

P. Galle, Mainz

G. Geldner, Ludwigsburg

A. Königsrainer, Tübingen

F.-G. B. Pajonk, Göttingen

Experten-Panel

P. Berlit, Essen

S. Bleich, Hannover

J. Bossenmayer, Stuttgart

H.- P. Bruch, Lübeck

M. Christ, Nürnberg

B. Debong, Karlsruhe

T. Hemmerling, Montreal

D. F. Hollo, Celle

J. Riemann, Ludwigshafen

Schlichtungsstelle für Arzthaftpfl ichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, Hannover

Redaktion

Dr. Daniela Erhard

Georg Thieme Verlag KG

Rüdigerstraße 14 74069 Stuttgart

E-Mail: legeartis@thieme.