B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2012; 28(6): 248-253
DOI: 10.1055/s-0032-1325221
Wissenschaft
Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Einfluss des Migrationsstatus auf die motorische Leistungsfähigkeit im Kindergartenalter

Untersuchung des Leistungsgefälles zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund
K Greier
1   Pädagogische Hochschule, Stams (A)
,
H Riechelmann
2   Medizinische Universität, Innsbruck (A)
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Eingegangen: 16 August 2012

Angenommen durch Review:23 September 2012

Publication Date:
17 December 2012 (online)

Zusammenfassung

Problemstellung: Die kindliche Bewegungswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten in Industrieländern grundlegend verändert. So ist auch die motorische Leistungsfähigkeit der Heranwachsenden häufig unbefriedigend, wobei laut verschiedener Studien, vermehrt Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund betroffen sind. Die aktuelle Studie untersucht, ob es bereits im Kindergartenalter Unterschiede hinsichtlich der motorischen Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit vom Migrationsstatus der Kinder gibt. Methode: Aus 41 Kindergärten, von denen 24 in ländlichen Gemeinden und 17 in städtischen Regionen lagen, wurden insgesamt 1063 4- bis 5-jährige Kinder (798 ohne Migrationshintergrund vs. 265 mit Migrationshintergrund) rekrutiert. Als Indikator für einen Migrationshintergrund wurde die zu Hause gesprochene Sprache (nicht deutsche Muttersprache) herangezogen. Zur Erfassung der motorischen Leistungsfähigkeit wurde das „Karlsruher Motorik-Screening“ (KMS 3–6) durchgeführt.

Ergebnisse: Die niedrigsten Summenscores der motorischen Leistung wurden bei Kindern mit Migrationshintergrund erzielt (p < 0,001). Bei den 4 durchgeführten Tests „Einbeinstand“, „Stand and Reach“, „seitliches Hin- und Herspringen“ und „Standweitsprung“ gab es hoch signifikante Unterschiede (p < 0,001) zugunsten der Kinder ohne Migrationshintergrund. Es zeigten sich keine signifikanten Geschlechtsunterschiede (p > 0,05). 18,4 % der Kinder ohne Migrationshintergrund konnten anhand einer normierten Beurteilungsskala bzgl. ihrer motorischen Leistungsfähigkeiten „sehr gut“ bzw. „gut“ beurteilt werden, während lediglich 6,8 % der Migrantenkinder diese Beurteilung erreichten.

Schlussfolgerung: Diese Untersuchung zeigt, dass sich die motorische Leistungsfähigkeit von Kindergartenkindern in Abhängigkeit vom Migrationsstatus signifikant unterscheidet. Es erscheint daher ratsam, vermehrt Bewegungsfördermaßnahmen in Kindergärten anzubieten. Im Brennpunkt stehen dabei insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund.

Summary

The effect of immigration status on the motoric capability in childhood: Study of the capability gap between children with and without immigration background.

Childhood physical activity in industrialized countries has fundamentally changed in the last decades. Accordingly, the motoric capability of adolescents is unsatisfactory and based on different studies from Germany this affects more juveniles with immigration background. The current study investigates whether there is a correlation between differences in motoric capabilities and immigration status in kindergarten-going children.

The data for the study was collected from 41 kindergartens (24 from rural communities and 17 from urban areas). A total of 1063 children aged between 4 and 5 years, of whom 798 were without immigration background and 265 with immigration background, were included in the study. The indicator for the immigration background was the language spoken at the homes of the children (non-German mother tongue). The „Karlsruher Motorik-Screening“ (KMS 3–6) was used in gauging the motoric capability.

The lowest score of motoric capability was observed in children with immigration background (p < 0.001). The tests carried out included „standing on one leg“, „stand and reach“, „side to side jumps“ and „standing long jump“. Children without immigration background had higher scores in all four tests (p < 0.001). There were no significant differences with regard to the gender of the children (p>0.05). Based on a standardized evaluation scale, 18.4 % of the children without immigration background attained the score „good“ to „very good“ compared to 6.8 % of the children with immigration background.

This study offers proof of significant motoric capability differences in kindergarten children dependent on their immigration status. It is therefore advisable to offer more physical exercise in the kindergartens.

 
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