Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2012; 47(07/08): 437-438
DOI: 10.1055/s-0032-1323564
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das Patientenrechtegesetz – eine ärztliche Betrachtung

Walter Schaffartzik
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Publication Date:
23 August 2012 (online)

„Unsicherheiten nehmen, Eigenverantwortung befördern und Rechte stärken, um diese Punkte ging es uns ganz besonders bei der Erarbeitung eines Patientenrechtegesetzes. Wir haben daher die entscheidenden Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit medizinischer Versorgung in einem Gesetz gebündelt und gestärkt.“ So äußerte sich Herr Daniel Bahr, MdB, Bundesminister für Gesundheit, in seiner Rede in der Eröffnungsveranstaltung des DAC 2012 am 5. Mai 2012 in Leipzig.

Am 22. März 2011 ist ein Grundlagenpapier zu den Patientenrechten veröffentlicht worden. Der am 16. Januar 2012 der Öffentlichkeit bekanntgegebene Referentenentwurf zum Patientenrechtegesetz (PRG), erarbeitet von den Bundesministerien für Gesundheit und der Justiz, soll nach zwischenzeitlich erfolgter Bearbeitung und Billigung durch das Bundeskabinett erstmalig am 27. September 2012 im Deutschen Bundestag beraten werden. Herr Wolfgang Zöller, MdB, Patientenbeauftragter der Bundesregierung geht von einer Verabschiedung des PRG noch in diesem Jahr aus, wie er auf dem Deutschen Ärzteforum, Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit, am 14. Juni 2012 erläuterte.

Neben der Bündelung (Kodifizierung) des Behandlungs- und Arzthaftungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) – derzeit liegt eine unüberschaubare Zahl an Gerichtsurteilen vor, auf denen die Rechtsprechung beruht – soll das PRG u. a. die Fehlervermeidungskultur befördern, z. B. durch die Benutzung des Critical-Incident-Reporting-Systems (http://www.cirs-ains.de). Das Recht der Patienten auf Information und die Rechte gegenüber Leistungserbringern, z. B. den Trägern der Gesetzlichen Krankenversicherung, werden gestärkt, insbesondere bei Verfahren wegen Behandlungsfehlern, auch bei solchen, die bei Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen durchgeführt werden. Dadurch wird das PRG mehr Transparenz für den Patienten und Arzt schaffen – es wirft aber auch Fragen auf.

So sollen z. B. mit den § 630a–630h des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) v. a. die Pflichten des Arztes bei der Behandlung seines Patienten geregelt werden. Schwerpunkte liegen dabei auf der Information, der Aufklärung und der medizinischen Befähigung des Arztes.

Entsprechend wird der Arzt nach § 630c BGB verpflichtet seiner Informationspflicht nachzukommen, indem er dem Patienten entweder auf dessen Frage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren mitteilt, ob ein Behandlungsfehler aufgetreten ist. Das entsprechende Einräumen eines Behandlungsfehlers darf aber in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten nur mit der Zustimmung des betroffenen Arztes verwendet werden. Es erhebt sich die Frage, ob der behandelnde Arzt im Einzelfall entscheiden kann, ob ihm ein Behandlungsfehler, eine sorgfaltspflichtwidrige Nichtbeachtung des medizinischen Standards, unterlaufen ist. Erlebt man doch nicht selten bei Verfahren vor Gerichten, dass die Beurteilung der in Rede stehenden Behandlung durch verschiedene Sachverständige desselben Fachgebietes voneinander abweicht. Welche Konsequenzen hat es, wenn der Arzt nicht von einem Behandlungsfehler ausgeht, in einem späteren Gerichtsverfahren aber doch ein Behandlungsfehler festgestellt wird?

Den Aufklärungspflichten des Arztes (§ 630e Abs. 2 BGB) sollte nach dem Referentenentwurf zunächst nachgekommen werden, indem die Aufklärung „durch einen an der Durchführung des Eingriffs Beteiligten, der über die zur sachgemäßen Aufklärung notwendigen Fachkenntnisse und Erfahrungen verfügt, mündlich erfolgt (...)“. Die Verpflichtung auf ein solches Vorgehen hätte weitreichende Änderungen des Arbeitsablaufs in Krankenhäusern nach sich gezogen bzw. dazu geführt, dass den gesetzlichen Regelungen nur mit Mühe, wenn überhaupt, gefolgt werden könnte. Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin hat zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie darauf aufmerksam gemacht und davor gewarnt, Details des klinischen Alltags so weitgehend auszugestalten bzw. zu regeln, dass Regeln vorhersehbar nicht eingehalten werden können. Gleichzeitig begrüßen aber beide Fachgesellschaften grundsätzlich die mit dem Gesetzentwurf geschaffene erhöhte Transparenz bei bestehenden Regelungen auf dem Gebiet des Behandlungs- und Arzthaftungsrechts.

Das Bundeskabinett hat auf die Vorträge zu diesem Punkt reagiert und den Text des § 630e Abs. 2 BGB dahingehend geändert, dass die Aufklärung „mündlich durch den Behandelnden oder eine Person erfolgen muss, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Befähigung verfügt“. Aber auch diese Formulierung könnte in der Praxis Probleme aufwerfen: Was bedeutet „notwendige Befähigung“ – und wer befindet darüber? Eine Antwort auf diese Frage zu finden, ist Gegenstand intensiver Diskussionen im Berufsverband Deutscher Anästhesisten und in der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin in diesen Tagen.

Bei der Erarbeitung des PRG wurde auch erörtert, ob bei dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers die Beweislast, die derzeit auf der Patientenseite liegt, auf die Arztseite verlagert werden sollte. In diesem Fall hätte der Arzt zu beweisen, dass er seinen Patienten mit der erforderlichen Sorgfalt behandelt hat. Bisher gilt, dass der Patient dem Arzt beweisen muss, dass er, der Arzt, die Behandlung fehlerhaft durchgeführt hat und der eingetretene Gesundheitsschaden kausal auf den Fehler zurückzuführen ist. Ausnahmen gibt es nur bei der Feststellung z. B. eines Befunderhebungsmangels oder eines schweren oder groben Behandlungsfehlers und bei der juristischen Feststellung der Beweislasterleichterung für die Patientenseite. Eine Verlagerung der Beweislast auf die Arztseite könnte u. a. dazu führen, dass eine mit einem hohen Risiko behaftete Behandlung nicht angeboten bzw. vor einer Operation eine überbordende bildgebende und laborchemische Diagnostik durchgeführt würden, um im Falle einer ärztlichen Inanspruchnahme die Nichtstichhaltigkeit von Vorwürfen belegen zu können.

Auch wenn aus der klinischen Sicht die Realisierbarkeit der einen oder anderen Regelung im PRG der Klärung bedarf, sollten wir den Blick auf das Große und Ganze richten:

Das PRG macht die gesetzliche Grundlage der Beziehung zwischen Patient und Arzt übersichtlicher; insofern ist es eine Hilfe für beide Seiten.

Die Voraussetzungen dafür, dass der Patient gesund wird und keinen Schaden nimmt, liegen aber nach wie vor im fachlichen und menschlichen ärztlichen Handeln. Verantwortungsvoll können wir Ärzte jedoch nur handeln, wenn wir unseren ärztlichen Prinzipien folgen und die Patienten vertrauensvoll mit uns zusammen darauf hinwirken, wieder gesund zu werden.

Ihr

Prof. Dr. Walter Schaffartzik

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