Dtsch Med Wochenschr 2012; 137 - A112
DOI: 10.1055/s-0032-1323275

Prävention und Versorgung von Gewaltverletzungen in der Zahnmedizin sowie der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – Entwicklung eines zahnmedizinischen Dokumentationssystems für gewaltbedingte Verletzungen, dessen Erprobung, Evaluation und Prävalenzerhebung

D Hahn 1, L Herzig 1, B Blättner 2
  • 1Hochschule Fulda, Fachbereich Pflege und Gesundheit, Fulda
  • 2Hochschule Fulda, Fachbereich Pflege und Gesundheit, Fulda

Problemstellung: 88–94% Personen, die durch Gewalt verletzt wurden, erleiden Verletzungen im Kopf- und Halsbereich (Hiesh et al. 2006; Nelms et al. 2009; Ochs et al. 1996). Behandelnde in zahnärztlichen und MKG-Notaufnahmen werden mit Gewaltverletzungen konfrontiert, doch es existieren keine entsprechenden deutschen Dokumentationsformen. Patienten und Methoden: In Zusammenarbeit mit einem interdisziplinär zusammengesetzten Beirat wurde ein Dokumentationsbogen bei Gewaltverletzungen für Zahnmedizin und MKG-Chirurgie sowie Begleitmaterialien entwickelt. Anschließend wurden diese in der MKG-Hochschulambulanz des Universitätsklinikums Frankfurt eingeführt und 3 Monate auf Vollständigkeit und Anwendbarkeit getestet. Parallel fand eine dreimonatige Prävalenzerhebung mit dem Dokumentationsbogen der Gewaltverletzungen aller Behandlungsbedürftigen nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Verletzungsform statt. Ergebnisse: Mit Unterstützung des Beirates wurde ein kurzer, vollständiger, gerichtsverwertbarer und praktikabler Dokumentationsbogen sowie hilfreiche Begleitmaterialien entwickelt. Die Prävalenzerhebung der insgesamt 50 Behandlungsbedürftigen zeigte ein Verhältnis von 80% Männern, die von Fremden und Bekannten verletzt wurden zu 20% Frauen, die von aktuellen oder ehemaligen Partnern verletzt wurden. Die Fokusgruppendiskussion zeigte, dass die Behandelnden Gewaltverletzungen fast ausschließlich als Schlägereien unter alkoholisierten Männern wahrnehmen. Dass jeder 5. Behandelte eine von häuslicher Gewalt betroffene Frau war, wurde nicht realisiert. Schlussfolgerungen: Patientinnen von MKG-Notaufnahmen mit gewaltbedingten Verletzungen sind sehr häufig von Partnergewalt betroffen, weswegen dies stets erfragt und gerichtsverwertbar dokumentiert werden sollte. Die mangelnde Wahrnehmung der Behandelnden zeigt die Notwendigkeit von Sensibilisierung und Qualifizierung zur Unterstützung und Weiterleitung gewaltbetroffener Frauen, um weitere Verletzungen zu vermeiden.

Literatur: Hsieh, N.K.; Herzig, K.; Gansky, S.A.; Danley, D.; Gerbert, B. (2006): Changing dentists’ knowledge, attitudes and behavior regarding domestic violence through an interactive multimedia tutorial. Journal of the American Dental Association, 137: 596-603

Nelms, A.P.; Gutmann, M.E.; Solomon, E.S.; DeWald, F.P.; Campbell, P.R. (2009): What victims of domestic violence need from the dental profession. Journal of Dental Education, 73(4): 490-498

Ochs, H.A.; Neuenschwander, M.C.; Dodson, T.B. (1996): Are head, neck and facial injuries markers of domestic violence? Journal of the American Dental Association, 127: 757-761