Dtsch Med Wochenschr 2012; 137 - A66
DOI: 10.1055/s-0032-1323229

Maximales Depressionsrisiko in der Endphase des Berufslebens und im höheren Rentenalter – Die Bedeutung des zweigipfligen Altersgangs der Depressionsprävalenz für die Bedarfsprognose

M Erhart 1, S Mangiapane 1, D Graf von Stillfried 1
  • 1Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin

Hintergrund: Die Abschätzung künftiger Versorgungsbedarfe erfordert wegen Veränderungen der demografischen Bevölkerungsstruktur genaue Kenntnisse alters- und geschlechtsspezifischer Depressionsprävalenzen. Bisherige Studienergebnisse sind widersprüchlich: Teilweise wurde eine Abnahme von Depressionen nach 65 Jahren berichtet, Daten einzelner Krankenkassen zeigten eine Zunahme. Diese Arbeit untersucht den Altersgang der Depressionsprävalenz anhand vertragsärztlicher Abrechungsdaten.

Methode: Die vertragsärztlichen Abrechnungsdaten von 61 Mio. Patientenentitäten mit KV-Abrechnungskontakt im Jahr 2007 wurden analysiert. Je Lebensalter (18–106) wurde die Depressionsprävalenz bei Männern (M) und Frauen (F) berechnet. Die Raten von Depressions-Hauptdiagnosen in der Krankenhausstatistik 2007 des stat. Bundesamts wurden ermittelt.

Ergebnisse: Die vertragsärztlich kodierte Depressionsprävalenz beträgt 6,4% (M) und 12,8% (F). Die Prävalenz steigt stetig und fast linear von 1,3% (M) und 3,0% (F) bei 18-jährigen auf 9,4% bei 60-Jährigen (M) und 17,9% bei 57-Jährigen (F) an und geht dann zurück auf 6,7% bei 68-Jährigen (M) und 15,1% bei 66-Jährigen (F). Danach steigt die Prävalenz fast linear auf 11,2% bei 90-Jährigen (M) und 19% bei 85-Jährigen (F) an. Die Analyse der 5-Jahres Alterskategorien der Krankenhausstatistik zeigt ein lokales Maximum bei 65–69-Jahren (M) und ein Plateau bei 65–74 Jahren (F). Die Projektion der jahrgenauen Prävalenzen auf die Bevölkerungsvorausberechnung des stat. Bundesamts prognostiziert von 2009–2020 ein Anstieg um 236.000 Depressionspatienten. Bei Verwendung von 10-Jahresklassen (20-Jahreskl.) wird ein um 12% (54%) geringerer Anstieg von 208.000 (107.000) geschätzt.

Diskussion: Der zweigipflige Altersverlauf der Depressionsprävalenz erklärt bisherige Widersprüche und gibt Hinweise auf spezifische Risikophasen im Alter. Werden die Brüche im Altersgang nicht adäquat berücksichtigt können Unterschätzungen künftiger Versorgungsbedarfe resultieren.

Literatur: Grobe TG, Dörning H, Schwartz FW. GEK Report ambulant-ärztliche Versorgung 2007. Schwerpunkt Ambulante Psychotherapie. Gmünder Ersatzkasse: Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Band 59.

Kessler RC, Birnbaum HG, Bromet E, Hwang I, Sampson N, Shahly V. Age differences in major depression: results from the National Comorbidity Survey Replication (NCS-R). Psychological Medicine 2010; 40(2): 225-237.

Kessler RC, Birnbaum HG, Shahly V, Bromet E, Hwang I, McLaughlin KA, et al. Age differences in the prevalence and and co-morbidity of DSM-IV major depressive episodes. Results from the WHO World Mental Health Survey Inititative. Depression and Anxiety 2010; 27(4): 351-364.

Stoppe G, Bramesfeld A, Schwartz FW (Hrsg.). Volkskrankheit Depression? Bestandsaufnahme und Perspektive. Springer, Berlin, Heidelberg, 2006.