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DOI: 10.1055/s-0032-1322896
Die Kraft der Rituale am Lebensende – psychoanalytische und theologische Perspektiven
Dass rituelle Handlungen im perimortalen Umfeld sinnvolle palliative Intervention sein können, ist wohl kaum bestritten. Ob und wie sie zum Einsatz kommen, hängt gleichwohl von vielen Faktoren ab. Fragt die Patientin danach? Kann sie sich überhaupt noch äussern? Welche Wirkung soll mit der Handlung erreicht werden und nach welchen Kriterien entscheidet die verantwortliche Person, wann und wie ein Ritual angebracht ist? In der Seelsorge gibt es eine lange Tradition von rituellen Handlungen am Lebensende. Sie haben Trostfunktion (Salbung und Segen), können aber auch aufrütteln (Beichte) oder Angehörigen wie den Sterbenden das letzte Loslassen erleichtern (Sterbenssakramente). Wann welches Ritual zum Einsatz kommt, verlangt also ein feines Gespür für die Situation. In der seelsorgetheoretischen Debatte der letzten Jahre wurden einerseits ritualtheoretische und andererseits religionsphänomenologische Impulse rezipiert, um die Wirkung und Handhabung des Rituellen im seelsorglichen Verhältnis auszuloten. Das soll dargelegt und diskutiert, aber auch ergänzt werden durch den sehr viel älteren – zunächst widerständig erscheinenden – ritualkritischen Ansatz der Psychoanalyse. Es lohnt sich, auf Sigmunds Freud Ritual- und Religionskritik einzugehen und zu zeigen, wie sich seine Kinder und Enkel um eine konstruktive Reinterpretation der als Illusion (oder als Neurose) entlarvten rituellen Kraft bemühten. Das hermeneutische Potential, das sich im theologisch aufgeklärten Nachvollzug dieser Theoriegeschichte erschließt, soll der kritischen Unterscheidung von Kräften in der Palliative Care zugute kommen.