Hintergrund: Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass im deutschen Gesundheitssystem Effizienzreserven
bestehen. Die tatsächliche Schwierigkeit besteht darin, diese Ineffizienzen zu quantifizieren
und zuzuordnen. Für Deutschland existieren vergleichsweise wenige Studien, die sich
überwiegend auf internationale Vergleiche oder Krankenhausbetriebsvergleiche beziehen.
Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des vorliegenden Papiers, die Effizienzpotentiale
des deutschen Gesundheitswesens auf Bundesländerebene zu ermitteln, ihre Gründe eingehender
zu untersuchen und durch den Ländervergleich und den Einbezug von Strukturvariablen
insbesondere auch Hinweise zu Möglichkeiten der Effizienzverbesserung zu erhalten.
Methoden: In der ersten Phase werden die Effizienzwerte auf Bundesländerebene durch die Data
Envelopment Analysis (DEA) bestimmt. Als Inputs (Ressourceneinsatz im Gesundheitswesen)
gehen die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, die aufgestellten
Krankenhausbetten, das Krankenhauspersonal sowie die medizinisch-technischen Großgeräte
in die Analyse ein. Als Outputs (Gesundheitszustand der Bevölkerung) gehen in die
Analyse die Lebenserwartung, die Säuglingssterblichkeit sowie die verlorenen Lebensjahre
ein. Um das Outcomespektrum der Gesundheitsversorgung vollständig wiederzuspiegeln
werden in zwei weiteren DEA Modellen neben den objektiven Indikatoren zur Gesundheit
auch subjektive Indikatoren berücksichtigt (selbstbewerteter Gesundheitszustand, Zufriedenheit
mit der Gesundheitsversorgung). In der zweiten Phase werden die Effizienzwerte auf
verschiedene exogene Faktoren regressiert. Dieses Vorgehen erlaubt es, die Wirkung
von Rahmenbedingungen auf die Effizienz in der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen
auf Bundesländerebene zu untersuchen. Als abhängige Variable werden die berechneten
Effizienzwerte der einzelnen Bundesländer definiert. Als Faktoren, die noch nicht
in der Effizienzanalyse berücksichtigt wurden gehen als Strukturvariablen die Hausarztdichte,
IV-Veträge sowie der Anteil privater Krankenhausbetten als Umfeldvariablen der Anteil
der alten Bevölkerung, die Bevölkerungsdichte, die Schulbildung, das BIP sowie die
Arbeitslosenquote und als Variablen des individuellen Gesundheitsverhaltens der Anteil
Übergewichtiger und der Anteil regelmäßiger Raucher ein. Der Argumentation von MacDonald
(2009) folgend wird eine Kleinste Quadrate Schätzung durchgeführt.
Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass Ineffizienzen vorliegen: Die Effizienzwerte lagen je
nach Modell und Jahr zwischen 0,608 und 0,735. Die Effizienzgrenze bildeten in allen
Modellen u.a. Baden-Württemberg und Brandenburg. Die Bundesländer Bremen und das Saarland
wiesen hingegen durchgehend die größten Effizienzreserven auf. Die Regressionsergebnisse
zeigen, dass die Arztstruktur die Integrierten Versorgung sowie der Anteil der privaten
Krankenhausbetten einen positiven Einfluss auf die Effizienz haben. Einen signifikant
negativen Einfluss auf die Effizienz haben der Anteil der alten Bevölkerung, Übergewicht
und Rauchen. Es kann gezeigt werden, dass tatsächlich Effizienzreserven im deutschen
Gesundheitssystem bestehen. Insbesondere lässt sich zeigen, dass die Strukturvariablen
Arztstruktur, IV-Verträge sowie private Krankenhäuser einen Einfluss auf die Effizienz
haben. Dieser Einfluss wurde in dieser Art bisher noch in keiner Studie untersucht.
Es muss jedoch angemerkt werden, dass die Aussagekraft aufgrund der kleinen Grundgesamtheit
(n=16 Bundesländer) leider, trotz Korrekturmechanismen wie bootstrapping und Datenpooling,
grundsätzlich eingeschränkt ist. Wünschenswert wäre insbesondere eine kleinräumigere
Untersuchung auf Kreisebene anstatt auf Bundesländerebene. Dies würde zum einen die
Qualität der Analyse aufgrund der größeren Grundgesamtheit (n=402) verbessern. Zum
anderen könnten so detaillierte Hinweise, wo genau Ressourcen eingespart/umverteilt
werden müssten und wo die Anpassung von Strukturen zu den größten Verbesserungen führen
würde, geliefert werden. Leider ist aktuell eine solche Untersuchung aus Gründen der
fehlenden Bereitstellung von öffentlich zugänglichen Daten auf Kreisebene für einige
der verwendeten Indikatoren nicht möglich.
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