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DOI: 10.1055/s-0032-1322114
Arzneimittelkonsum in nordostdeutschen Landgemeinden 1994–2004/08– Eine empirische Untersuchung mit den Daten der Landgesundheitsstudie (LGS)
Hintergrund: In der an der Hochschule Neubrandenburg durchgeführten Studie „Gesundheit und alltägliche Lebensführung in nordostdeutschen Landgemeinden“ (EL 493/2–1) wurden im Zeitverlauf verschiedene Bereiche von Gesundheit und Gesundheitshandeln hinsichtlich Kontinuität und Wandel alltäglicher (gesundheitsbezogener) Lebensführung untersucht. Vor dem Hintergrund hoher Arzneimittelausgaben in Mecklenburg-Vorpommern wird hier die Menge an konsumierten Arzneimitteln, die Multimedikation und die Selbstmedikation in Abhängigkeit vermuteter Einflussgrößen mittels Trend- und Querschnittvergleiche untersucht.
Methodik: Datenbasis für die Trendanalysen sind die 2. (1994: N=2.159) und 3. (2004/08: N=1.246) Erhebungswelle der Landgesundheitsstudie. Für die Querschnittvergleiche wurde als Referenz der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 herangezogen (BGS_98). Trendvergleiche wurden altersadjustiert (Referenzpopulation: Grundgesamtheit 2004/08) vorgenommen. Für intraregionale Zeitvergleiche (1994–2004/08) wurden die Werte 1994 gegenüber der Altersverteilung altersadjustiert, wie sie in der Welle 2004/08 bestand. Die Auswertungen erfolgten mittels deskriptiver und multivariater Statistik. Alle Analysen wurden geschlechtsspezifisch nach Einfachkonsumenten, Mehrfachkonsumenten und Selbstmedikamentierern in den Einnahmefrequenzen täglich, wöchentlich und monatlich in Abhängigkeit von Faktoren wie Alter, Erwerbsstatus, Schulbildung, Pro-Kopf-Einkommen, Gesundheitszustand, Inanspruchnahmeverhalten, BMI, Morbidität u.v.m. durchgeführt.
Ergebnisse: Der interregionale Vergleich verdeutlicht, dass sowohl 1994 wie 2004/08 die Konsummuster denen des Bundesgesundheitssurvey bi- wie auch multivariat entsprechen. Regressionsanalysen bestätigten, dass Alter, Morbidität, Geschlecht, Gesundheitszustand und Arztinanspruchnahme starke Prädiktoren des Arzneimittelkonsums sind. Innerhalb der LGS wurden die Einflussgrößen um den Bildungsstatus, den Erwerbsstatus sowie den BMI erweitert. Im Wellenvergleich konnte unabhängig vom Geschlecht ein Konsumanstieg von 1994 zu 2004/08u.a. bei Medikamenten zur Behandlung von Diabetes mellitus, Bluthochdruck sowie zur Behandlung von Adipositas konstatiert werden. Obgleich bei Frauen ein höherer Arzneimittelkonsum besteht, hat sich über beide Wellen das Gefälle zwischen Männern und Frauen angeglichen. Zunahmen des Arzneimittelkonsums (Blutdrucksenkende-/Blutzuckersenkende-/Blutfettsenkende Mittel, Insulin, Psychopharmaka, Schilddrüsenpräparate) sind v.a. seitens der Männer festzustellen und liegen zudem in 2004/08 über dem Niveau des BGS_98. Bezüglich des Selbstmedikationsmarktes sind Zuwächse bei Life-Style Medikamenten vorhanden. Zusätzlich sind deutliche Anstiege bei Schmerz- und Erkältungsmitteln zu konstatieren.
Diskussion: Die Ergebnisse zeigen interregional bereits bekannte Zusammenhänge (Alter, Geschlecht und Morbidität) beim Arzneimittelkonsum auf. Anhand der entsprechenden Folgemedikation wird die in der Hauptstudie vorgenommene Bewertung der hohen Prävalenz an Adipositas, Diabetes mellitus und Bluthochdruck als Ausdruck der Peripherisierung der Untersuchungsgemeinden bestätigt. Ebenso spiegelt sich der durchschnittlich schlechtere subjektive Gesundheitszustand dieser Landbevölkerung im Arzneimittelkonsum wider: so steht ein weniger guter/schlechter Gesundheitszustand in engem Zusammenhang mit dem Arzneimittelkonsum. Ferner könnten Medikalisierungsstrategien als Erklärungsansätze für den gestiegenen Verbrauch von Schilddrüsenpräparaten, Blutdrucksenkenden Mitteln und Lipidsenkern herangezogen werden. Zudem ist eine Zunahme innerhalb des Selbstmedikationsmarktes festzustellen. Diese bezieht sich vorwiegend auf Life-Style-Medikamente, was Anlass zur Vermutung gibt, dies sei eine Auswirkung eines gesteigerten Gesundheitsbewusstseins. Ein höheres Bildungsniveau steht ebenso wie gesundheitspolitische Rahmenbedingungen in Zusammenhang zu veränderten Konsummustern, welche insbesondere auf OTC-Präparate wie Erkältungs- und Grippemittel zutreffen. Limitationen bestehen u.a. darin, dass der zeitliche Trend auf Bundesebene in den Referenzdaten nicht abbildbar ist, da diese lediglich aus einer Erhebung vorlagen.