Gesundheitswesen 2012; 74 - A98
DOI: 10.1055/s-0032-1322084

(Ausbaufähiges) Präventionspotenzial des deutschen Koloskopie-Screenings

M Schäfer 1, A Weber 1, L Altenhofen 1
  • 1Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI), Berlin

Hintergrund und Datengrundlage: Mit dem Koloskopieangebot für die GKV-Bevölkerung ab dem 55. Lebensjahr steht ergänzend zum stuhltestbasierten Screening ein umfangreiches qualitätsgesichertes Programm zur Prävention von Darmkrebs in Deutschland zur Verfügung. Dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) liegen seit Einführung dieses Angebots knapp 3,8 Mio. standardisiert erhobene Befunde zu dieser Untersuchung aus den Jahren 2003 bis 2010 vor. Die wissenschaftliche Begleitforschung durch das ZI bietet eine zeitnahe Evaluation der erzielten Effekte im Hinblick auf die Akzeptanz, Untersuchungsqualität und -befunde. Mit den Auswertungen der Jahre 2003 bis 2010 steht eine umfangreiche Datengrundlage u.a. für gesundheitspolitische Entscheidungen im Hinblick auf die Weiterführung und ggf. Modifikation des Programms zur Verfügung. Gesundheitsökonomische Studien weisen nach, dass Screeningmaßnahmen zur Darmkrebsprävention kosteneffektiv sind. Dabei zeigt sich, dass weniger die Screening-Strategie (u.a. Auswahl des diagnostischen Tests und Definition des Screeningintervalls) den Nutzen bestimmt, sondern vielmehr die Teilnahmerate in der anspruchsberechtigten Bevölkerung. Um einen relevanten Effekt auf die kolorektale Karzinominzidenz oder -mortalität zu erzielen, wird eine Beteiligung von mindestens 25% der Zielgruppe als erforderlich angesehen (Brenner et al. 2005).

Ergebnisse: Teilnahme: Nach Einführung des präventiven Koloskopie-Angebots haben zwischen 2003 und 2010 bezogen auf die Hauptzielgruppe der 55 bis 74Jährigen 18,3% (Männer) bzw. 20,1% (Frauen) an der Untersuchung teilgenommen. Über die Zeit muss – mit Ausnahme in der jüngsten anspruchsberechtigten Altersgruppe der 55 bis 59Jährigen – insbesondere in der 60 bis 69-jährigen Bevölkerung ein rückläufiger Trend in der Inanspruchnahme seit 2005 konstatiert werden. Diese Beobachtung lässt auf ein gewisses ‚Sättigungsphänomen‘ schließen: So ist der Anteil an Personen der neu-anspruchsberechtigten Jahrgänge 1954 und 1955 im Jahr 2010 mit 17,8% (M) bzw. 20,3% (F) an allen Untersuchten in der Altersspanne der 55 bis 74 -jährigen Versicherten deutlich ausgeprägt. Diagnostik, Bei 8,1% der männlichen und 4,6% der weiblichen Teilnehmer wurde ein fortgeschrittenes Adenom diagnostiziert. Diese Gruppe dürfte den größten Nutzen aus dieser Präventionsmaßnahme ziehen, da fortgeschrittene Adenome ein hohes Progressionspotenzial zu einem malignen Befund mit einer altersabhängigen jährlichen Übergangsrate von 2,6 bis 5,6% haben. 88% der Teilnehmer mit einem fortgeschrittenen Adenombefund gehört zur Hauptzielgruppe (55–74 Jahre). Daneben wurden 34.975 Karzinome im Screening (1,3% Männer und 0,7% Frauen) entdeckt, in der Mehrzahl in einem frühzeitigen Stadium. Ein maligner Befund entfällt in mehr als drei Viertel der Fälle auf die 55 bis 74-jährigen Teilnehmer.

Diskussion: Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitevaluation beschreiben das Präventionspotenzial durch die Inanspruchnahme einer Früherkennungs-Koloskopie, wenngleich die Teilnahme verbesserungsfähig ist. Es ist anzunehmen, dass die Bereitschaft zur Teilnahme insbesondere bei Personen, die neu in das anspruchsberechtigte Screeningalter eintreten, hoch ist und eine weitere Steigerung der Teilnahmeraten der jüngsten Anspruchsberechtigten ein ausbaufähiges Präventionspotenzials bietet. Versicherte im Alter von 55 Jahren sollten gezielt auf das Früherkennungsangebot aufmerksam gemacht werden und beispielsweise über Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und zielgruppenspezifischen Informationskampagnen in ihrer Teilnahme verstärkt beworben werden. Es ist wissenschaftlich zu prüfen, inwieweit ein organisiertes Einladungsverfahren im Bereich der Darmkrebsfrüherkennung einen relevanten Zugewinn an weiteren Teilnehmern erzielt, der in einem vertretbaren Verhältnis zum erforderlichen Aufwand steht.

Literatur:

Brenner H, Arndt V, Stegmaier C, Ziegler H, Stürmer T: Reduction of clinically manifest colorectal cancer by endoscopic screening: empirical evaluation and comparison of screening at various ages. Eur J Cancer Prev 2005 14(3): 231–7.

Lansdorp-Vogelaar I, Knudsen AB, Brenner H: Cost-effectiveness of colorectal cancer screening. Epidemiol Rev 2011 33(1): 88–100.