Gesundheitswesen 2012; 74 - A89
DOI: 10.1055/s-0032-1322075

Ein kritischer Beitrag zur Mindestmengendebatte aus Sicht der evidenzbasierten Medizin

D Pieper 1, T Mathes 1, M Eikermann 1
  • 1Institut für Forschung in der operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke

Regelungen zu Mindestmengen sind Gegenstand heftiger Diskussionen. Dahinter steckt die Frage, ob bessere Ergebnisse in der Versorgung durch eine Zentralisierung der Leistungen erzielt werden können. Hierbei dürfen Leistungserbringer bestimmte Prozeduren nur dann anbieten, wenn eine Mindestanzahl dieser Prozeduren in einem definierten Zeitraum erbracht wird. In Deutschland hat der G-BA für einige Prozeduren Mindestmengen festgelegt, wobei einige davon zwischenzeitlich wieder ausgesetzt wurden. Ziel der Arbeit ist es zu überprüfen, ob aktuelle systematische Übersichtsarbeiten geeignet sind, eine Diskussionsgrundlage für Mindestmengenentscheidungen zu bilden sowie Evidenzlücken zu identifizieren.

Es wurde eine systematische Recherche in den Datenbanken Medline, Embase, Cochrane Database of Systematic Reviews, Database of Abstracts of Reviews of Effects und Health Technology Assessment Database nach systematischen Übersichtsarbeiten zum Zusammenhang zwischen erbrachter Leistungsmenge eines Krankenhauses und Ergebnisqualität in der Chirurgie durchgeführt. Darüber hinaus erfolgte eine Handsuche auf Seiten von HTA-Organisationen. Ferner wurden die Referenzen eingeschlossener Artikel auf weitere relevante Literatur hin überprüft. Alle Treffer wurden anhand der a priori definierten Ein- und Ausschlusskriterien auf Relevanz hin überprüft. Anschließend wurde die Qualität der als relevant identifizierten systematischen Übersichtsarbeiten mit dem AMSTAR-Instrument bewertet. Relevante Informationen der Studien wurden standardisiert extrahiert, analysiert und zusammengefasst. Alle Schritte wurden unabhängig von zwei Reviewern durchgeführt.

Die Recherche ergab 593 Treffer, von denen 71 nach Titel- und Abstractscreening als potentiell relevant eingestuft wurden und im Volltext gesichtet wurden. Letztendlich konnten aus allen recherchierten Quellen 29 relevante Treffer eingeschlossen werden. Zu einigen Indikationen oder Prozeduren lagen mehrere Publikationen vor. Als häufigste Outcomeparameter werden Mortalität und Überleben betrachtet. Die Ergebnisse weisen in ca. der Hälfte der Studien auf einen Zusammenhang hin. Die Qualität der Reviews war insgesamt nicht zufriedenstellend. Methodische Mängel wurden insbesondere im Hinblick auf das Poolen von Daten sowie die fehlende Berücksichtigung von Kovariablen identifiziert.

Zu einer Vielzahl von Indikationen/Prozeduren ist der Versuch unternommen worden die Ergebnisse aus Primärstudien zusammenzufassen. Es scheint daher auf den ersten Blick vielfach Evidenz vorhanden zu sein. Die methodischen Mängel vieler Arbeiten rufen jedoch erhebliche Zweifel hervor, inwieweit die vorhandenen systematischen Übersichtsarbeiten dazu geeignet sind eine sinnvolle Evidenzgrundlage für Diskussionen zu Mindestmengenregelungen zu bilden. Zukünftige systematische Reviews zur Untersuchung der Fragestellung müssen den methodischen Vorgaben der evidenzbasierten Medizin standhalten können. Aufgrund der Komplexität der Fragestellung und den damit einhergehenden heterogenen Studien stellt dies eine besondere Herausforderung dar.