Gesundheitswesen 2012; 74 - A80
DOI: 10.1055/s-0032-1322066

Analyse der Kostenkategorien und methodischen Probleme in Kostenschätzungen zur Intimen Partnergewalt gegen Frauen – ein systematischer Review

D Niebuhr 1, S Salge 1
  • 1Hochschule Fulda

Hintergrund: Intime Partnergewalt gegen Frauen hat ein breites Spektrum an akuten, mittel- und langfristigen physischen, sexuellen, psychischen sowie sozialen Schäden. Dadurch entstehen Kosten im Gesundheits-, Sozial- und Justizwesen sowie volkswirtschaftliche Produktivitätsverluste. Nach der im Jahr 2004 veröffentlichten repräsentativen Prävalenzstudie zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland hat etwa jede vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt durch einen Intimpartner erlebt. Eine deutsche Kostenschätzung zur Intimen Partnergewalt gegen Frauen liegt nicht vor. In dem systematischen Review wird untersucht, welche Kostenkategorien in internationalen Kostenschätzungen zur Intimen Partnergewalt gegen Frauen in der Regel berücksichtigt werden und welche methodischen Probleme bei der Erhebung und Kalkulation von direkten, indirekten und intangiblen Kosten (d.h. bei nicht-monetären Kosten wie Schmerz, Angst und Verlust an Lebensqualität) auftreten.

Methodik: Die systematische Literaturrecherche erfolgte in den elektronischen Datenbanken MEDLINE, EMBASE, The Cochrane Library, Web of Science, PsycINFO sowie durch Sichtung der Referenzlisten in Sekundärarbeiten, Online-Recherchen etc. und deckt den Publikationszeitraum von 2000 bis 2011 ab. Eingeschlossen wurden Kostenschätzungen, wenn sie aus gesellschaftlicher Perspektive direkte und indirekte Kosten von Gewalt gegen Frauen im Alter ab 16 Jahren in intimen Paarbeziehungen erhoben hatten. Aufgrund der kulturellen Diversität bei der Definition Intimer Partnergewalt wurden nur Kostenstudien aus OECD-Mitgliedstaaten eingeschlossen. Kostenrechnungen zu anderen Formen der interpersonellen Gewalt wie ausschließliche Gewalt gegen Kinder, Männer und ältere Menschen, Gewalt durch Fremde und Jugendgewalt sowie zu Gewalt in institutionellen Settings wie in Schulen, am Arbeitsplatz oder in Pflegeheimen wurden begründet ausgeschlossen.

Ergebnisse: Die Datenbankrecherche mit insgesamt 2806 Treffern war zur Identifikation relevanter Kostenstudien ergebnislos. Neun Kostenschätzungen – überwiegend administrative Berichte – konnten via Online-Recherchen identifiziert werden. Die Kostenschätzungen zur Intimen Partnergewalt gegen Frauen wurden in jeweils unterschiedlichen Erhebungsländern (in Europa, Australien und den USA) durchgeführt. In drei Studien wurden direkte, indirekte und intangible Kosten ermittelt. Tendenziell sind die direkten Kosten für den Gesundheitsbereich geringer als die Kosten für den Justiz- und Sozialbereich, allerdings konnten langfristige Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes gewaltbetroffener Frauen in keiner Studie berücksichtigt werden. Entlang der Studienlage übersteigen die intangiblen Kosten die direkten und indirekten Kosten deutlich.

Schlussfolgerung: Aufgrund der lückenhaften und heterogenen Datenquellen zur Erhebung der verschiedenen Kostenkategorien können die reellen Kosten der Intimen Partnergewalt gegen Frauen höher vermutet werden. Insbesondere die vom Opfer selbst zu tragenden Kosten und soziale Multiplikationseffekte (bspw. Verlust von familiären und sozialen Bezügen) konnten kaum ermittelt werden. Detaillierte Fallbeschreibungen wären eine methodische Alternative zur Erhebung fehlender Sekundärdaten im Gesundheits-, Justiz- und Sozialbereich. Die internationalen Beispiele zeigen, dass in einigen Ländern wie bspw. in Australien die Bezifferung der ökonomischen Konsequenzen der Intimen Partnergewalt gegen Frauen den öffentlichen Diskurs zur Gewaltprävention und die methodische Weiterentwicklung komplexer Kostenanalysen unterstützen kann.

Literatur:

Krug EG, Dahlberg LL, Mercy JA, Zwi AB, Lozano R (2002) World report on violence and health. World Health Organization, Geneva

Müller U, Schröttle M (2004) Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berlin, Hornberg

C, Schröttle M, Khelaifat N, Pauli A, Bohne S (2008) Gesundheitsberichterstattung des Bundes Themenheft 42 ‚Gesundheitliche Folgen von Gewalt‘. Unter besonderer Berücksichtigung von häuslicher Gewalt gegen Frauen. Robert-Koch-Institut (Hrsg), Berlin

Brzank P (2009) (Häusliche) Gewalt gegen Frauen: sozioökonomische Folgen und gesellschaftliche Kosten. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 52:330–338

Niebuhr D, Salge S, Brzank P (2012) Kosten Intimer Partnergewalt gegen Frauen. Ein systematischer Review. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz [in press]