Suchttherapie 2012; 13(03): 140-141
DOI: 10.1055/s-0032-1316373
Leserbrief
>© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Antwort

Further Information

Publication History

Publication Date:
06 September 2012 (online)

Preview

Als Reaktion auf meine Kritik am reaktiven Teil des HaLT-Programms (nur darauf bezieht sich meine Kritik) artikulieren Frau Kuttler und Herr Wolstein et al. in ihren Leserbriefen [1] [2] ihre guten Absichten („Aus finanziellem Interesse macht keiner mit“ [1]), Vorhaben („werden zurzeit … durchgeführt“ [2]), subjektive Überzeugungen („halten wir … für kontraindiziert“ [2]), unbelegte Behauptungen („Eltern [werden] beraten, was wiederum einen Einfluss auf das Konsumverhalten der Kinder hat“ [2]) und dies und jenes abseits meiner HaLT-Kritik (z. B. Definition von Rauschtrinken [1]) – und missverstehen mich offenbar in einigen Punkten („Rauschtrinken lediglich als individuelles Problemverhalten bewertet“ [1], „suggeriert … einfache Lösungen“ [2]).

Sie gehen allerdings weder auf meine Kritikpunkte an HaLT-reaktiv ein, noch widersprechen sie meinen Feststellungen, die somit offensichtlich unstrittig sind:

  1. Für HaLT gibt es keinerlei wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis.

  2. Auf der Basis randomisierter kontrollierter US-amerikanischer Studien zu ähnlichen Interventionen wie HaLT ist anzunehmen, dass HaLT nicht wirksamer ist als ein 5-minütiger ärztlicher/pflegerischer Ratschlag.

  3. HaLT fehlt es an wissenschaftlicher Fundierung, insofern wichtige Interventionsgrundlagen bei jugendlichem Problemkonsum entweder gar nicht (personalisiertes Feedback; Auffrischsitzungen), nur rudimentär oder zum Teil falsch (Kurzinterventionen, Motivierende Gesprächsführung) rezipiert werden.

  4. Bei HaLT bleibt unklar, was genau angestrebt wird, da es an klaren Zielkriterien mangelt (Senkung von: Alkoholkonsummenge? Konsumhäufigkeit? Rauschtrinken? Klinikaufnahmen? …).

  5. Der Umfang des „HaLT-Interventionspaketes“ und seine Bestandteile („Brückengespräch“, Elterngespräch, Gruppenintervention „Risiko-Check“, Abschlussgespräch) sind weder begründet noch schlüssig (Beispiel: erlebnispädagogische Anteile); genaue Anlei-tungen zur Umsetzung der 4 Interventionsbestandteile fehlen; es ist unklar, wie die HaLT-Umsetzung in der Praxis de facto aussieht (in mancher Großstadt wurde noch kein einziges Gruppengespräch durchgeführt!).

  6. Indikationsfragen werden nicht gestellt, sodass ungeklärt bleibt, welche Jugendlichen von HaLT profitieren könnten und für welche HaLT überflüssig ist.

  7. Die Fortbildung der HaLT-Anwender/ -innen ist unzureichend und entspricht – beispielsweise in Bezug auf Motivierende Gesprächsführung – nicht einmal Minimalstandards.

  8. Mit HaLT-reaktiv wird nur ein verschwindend geringer Teil exzessiv Alkohol trinkender Jugendlicher erreicht, weshalb durch HaLT keine Beeinflussung des gesamtgesellschaftlichen Problems jugendlichen Rauschtrinkens („Unsere Jugend säuft sich kaputt!“) zu erwarten ist.

Auf 2 meiner Kritikpunkte gehen Wolstein et al. [2] ein:

Explizit widersprechen sie meiner Kritik an der ausschließlichen Alkoholzentrierung von HaLT mit dem Hinweis, dass andere Substanzen von alkoholauffälligen Jugendlichen ohnehin nicht konsumiert würden. Jugendliche rauchen keine Zigaretten [3]? Cannabis spielt bei Jugendlichen keine Rolle [4]? Was ist mit der Tatsache, dass die exponierte HaLT-Zielgruppe – Schüler mit wiederholter Krankenhaushistorie – gehäuft angibt „in den letzten 12 Monaten illegale Drogen konsumiert zu haben“ [5]? Was tun mit diesen Jugendlichen – also etwa einem 16-jährigen Alkohol- und Cannabiskonsumenten? Gemäß Wolstein et al. wird er „an weiterführende Hilfen vermittelt“ [2] – also an die von „Szene-Junkies“ frequentierte Drogenberatungsstelle?

Ein zweiter Kritikpunkt von Wolstein et al. [2] bezieht sich auf die zur Selbstkontrollstärkung entwickelten Behavioral Self-Control Trainings (BSCT) [6]: Die BSCT-Evaluationen beruhten auf alten Studien mit relativ wenigen und nicht-jugendlichen Studienteilnehmern/-innen, und (BSCT) änderten am Alkoholkonsum multipel drogenabhängiger „Szene-Junkies“ nichts. Das ist weit aus dem Fenster gelehnt, wenn man bis heute selbst nur eine einzige US-amerikanische Studie [7] als indirekten (!), unzulänglichen und weitgehend falsch zitierten Beleg für HaLT heranzieht [vgl. 8]. In Bezug auf BSCT bleibt festzustellen: Programme dieses Typus‘ sind über eine weite Altersspanne hinweg zur Reduktion des Alkoholkonsums wirksam, wie 2 Meta-Analysen mit 17 [9] bzw. 22 [10] randomisierten Kontrollgruppenstudien belegen. Auch zur Reduktion von Zigarettenkonsum [11], pathologischem Glücksspiel [12] und exzessiver Internetnutzung [13] haben sich BSCT als wirksam erwiesen. Selbst bei schwer und langjährig Drogenabhängigen zeigen Selbstmanagementtrainings erhebliche Effekte, etwa in Form einer 50%-igen Reduktion stationärer Entzugsbehandlungen und eines 20%-igen Anstiegs konsumfreier Tage [14]. Angesichts ihres relativ geringen Zeitaufwands und ihrer durch kein anderes Verfahren übertroffenen Wirksamkeit wurden die BSCT von Heather et al. [15] – nicht von Walters [9], wie Wolstein et al. [2] mutmaßen – mit dem Begriff „Gold-Standard für den Aufbau von Selbstmanagementfertigkeiten“ geadelt.

Unbestritten sind die HaLT-„Erfinder/-innen“ vor 10 Jahren mit besten Absichten angetreten. Doch die an HaLT geknüpften Erwartungen werden durch die HaLT-Realität nicht erfüllt.
J. Körkel