Zentralbl Chir 2012; 137(05): e1-e3
DOI: 10.1055/s-0032-1315173
Kongressnachlese
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

26. GMS in Berlin vom 10. bis 12. November 2011 – Gefäßmedizin interdisziplinär – eine Nachschau

26th Symposium on Vascular Medicine in Berlin, November 10–12, 2011 – Interdisciplinary Vascular Medicine – Selected Topics
R. I. Rückert
1   Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Diabetologie und Endokrinologie, Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Magdeburg, Deutschland
,
P. Klein-Weigel
2   Klinik für Angiologie, HELIOS Klinikum Berlin-Buch, Berlin, Deutschland
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Publication Date:
07 November 2012 (online)

Bereits mit seinem 25-jährigen Bestehen im Jahr 2010 gehörte das alljährlich im November in Berlin stattfindende Gefäßchirurgische Symposium, nach seinem Begründer und langjährigen wissenschaftlichen Leiter, Prof. Dr. Wolfgang Hepp, oft auch vereinfachend als „Hepp-Symposium“ bezeichnet, zu den traditionsreichsten und bekanntesten gefäßchirurgischen Veranstaltungen in Deutschland [1], [2], das regelmäßig auch international renommierte Kollegen anzog und jeweils nachhaltiges wissenschaftlich-publizistisches Echo fand [3], [4], [5], [6], [7], insbesondere im „Zentralbl Chir“ (Zeitschrift für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie), das sich der Gefäßchirurgie insbesondere verpflichtet fühlt [8], [9], [10], [11], [12].

Das 26. Gefäßmedizinische Symposium (GMS), das vom 10. bis 12. November 2011 im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin stattfand, setzte die Tradition dieser Veranstaltung bewusst fort. Die Namensänderung dokumentiert eine Neuorientierung, die konsequent die Interdisziplinarität in der Gefäßmedizin in den Mittelpunkt stellt.

Neben interessanten aktuellen Themen, Interprofessionalität und -disziplinarität und einer offenen, diskussionsfreudigen Atmosphäre zeichnete sich das Symposium von je her – und so auch im letzten Jahr – durch breite Weiterbildungsangebote und eine bewusste Förderung des gefäßmedizinischen Nachwuchses aus [13], [14], [15], [16]. Das neue, zeitlich verkürzte Format wurde allgemein begrüßt und sehr gut angenommen, wie mehr als 500 Teilnehmer und überaus positive Rückmeldungen im Rahmen der Evaluation beweisen.

Die außerordentliche Dynamik der gefäßmedizinischen Fachgebiete bringt ständig neue Verfahren hervor, deren Potenzial sich in wissenschaftlichen Studien und letztlich auch im klinischen Alltag beweisen muss. In der Sitzung „News in der Gefäßmedizin“ wurden Themen ausgelotet, in denen hohes Entwicklungs- und Ausbreitungspotenzial steckt. Frau Univ.-Prof. Dr. Eichinger-Hasenauer, Leiterin der Antikoagulationsambulanz des AKH, Wien, startete mit einem umfassenden Überblick über die Behandlung venös thrombembolischer Erkrankungen mit neuen oralen Substanzen, die für diese Indikation in Europa kurz vor der behördlichen Zulassung standen bzw. stehen, die Therapie infolge einer klaren Dosis-Wirkungs-Beziehung durch Wegfall gerinnungsanalytischer Kontrollen erheblich vereinfachen und das therapeutische Spektrum erweitern. Frau PD Dr. Pfister, Regensburg, widmete ihren Vortrag der Kontrastmittel-(KM-)Sonografie in der Gefäßmedizin. Das Verfahren ist geeignet, CT-Untersuchungen und somit die Strahlenbelastung der Patienten, etwa im Follow-up nach EVAR-Prozeduren [17], [18], erheblich zu reduzieren. Darüber hinaus lassen sich mit der KM-Sonografie wichtige Informationen zur Vaskularisation und damit zur Stabilität von Plaques gewinnen. Herr Dr. Banyai, Angiologe aus Luzern, berichtete über die pathophysiologischen Grundlagen, die Durchführung und Studienlage zur katheterbasierten Denervierung der Nierenarterien für die Behandlung der schwer einstellbaren arteriellen Hypertonie. Eines der zukunftsträchtigsten Gebiete der endovaskulären Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), die Differenzialindikation und derzeitige Evidenz zum Einsatz von Drug-eluting-(DE-)Ballons und Stents, wurde von Herrn Dr. Schmidt aus Leipzig dargestellt. Herr Prof. Schmidt-Lucke aus Berlin berichtete über die Potenziale und die derzeitige Studienlage der autologen Stammzelltherapie zur Behandlung der chronischen, kritischen Extremitätenischämie [19]. Schließlich wurde von Herrn Dr. Euringer aus Freiburg eine völlig neuartige, vielen noch unbekannte Methode der endovaskulären Aneurysmatherapie mit dem „multilayer aneurysm repair system“ (MARS) vorgestellt.

Früherkennung und Prävention von Gefäßerkrankungen waren Thema des angiologischen Forums. Eingehend beleuchtet wurde die Bedeutung der Intima-Media-Dicke (ao. Univ.-Prof. Dr. Marschang, Innsbruck) und der zentralen Pulswellengeschwindigkeit (Dr. Baulmann, Lübeck) für die Prognose sowie der Bestimmung des Wall Shear Stress für die bevorzugte Entstehung der Arteriosklerose in der A. femoralis superficialis (Univ.-Prof. Dr. Koppensteiner, Wien). Univ.-Prof. Dr. Taupitz, Berlin, schilderte interessante Forschungsergebnisse zur Früherkennung aktivierter Plaques mittels MRT, die sich über die Neuentwicklung spezieller Kontrastmittel im Tierversuch bereits erkennen lassen. Schließlich sorgten der Präsident der Ärztekammer Berlin, Dr. Jonitz, und der Geschäftsführer des medizinischen Stabes des Bundesverbands der AOK, Dr. Schillinger, für einen gesundheitspolitisch brisanten Diskurs, in dem klar wurde, dass die Früherkennung eine ureigenste ärztliche Aufgabe ist, von den Kassen aber nur getragen werden kann, wenn deren Nutzen für die Versicherten eindeutig nachgewiesen werden kann.

Eines der Hauptthemen des 26. GMS war das Management des Aortenaneurysmas. In seinem einleitenden Vortrag gab Herr Prof. Dr. Fraedrich aus Innsbruck einen detaillierten Überblick über die jüngst publizierten ESVS-Guidelines (European Society of Vascular Surgery) zur Diagnostik und Behandlung des infrarenalen Aortenaneurysmas. Herr Dr. Baumann aus Bern referierte über den aktuellen Stand der medikamentösen Therapie. Es existieren zahlreiche tierexperimentelle, aber auch eine Reihe klinischer Studien, die nahelegen, dass Statine, ACE-Hemmer und β-Blocker nicht nur in der perioperativen Phase einen gewissen positiven Einfluss auf die Erkrankung haben. Die medikamentöse Behandlung trägt einerseits dazu bei, das perioperative Risiko zu senken, und ist andererseits geeignet, das Aneurysmawachstum zu verlangsamen oder die Aneurysmawand zu stabilisieren. Das zukünftige Management des Aortenaneurysmas wird diese Aspekte in bedeutendem Maße berücksichtigen müssen. Eine der klinisch interessantesten und vor allem auch relevanten Fragen betrifft die sogenannten kleinen Aneurysmen, d. h. solche mit einem Maximaldurchmesser von weniger als 50 mm. Bei einem Screening kann man mit einem Anteil von etwa 80–90 % dieser kleinen Bauchaortenaneurysmen rechnen. Herr Prof. Dr. Brunkwall aus Köln erläuterte detailliert, warum bis dato keine Indikation besteht, die sogenannten „small aneurysms“ auszuschalten.

Die Frage, ob zukünftig überhaupt noch Indikationen für eine konventionelle chirurgische Therapie des Aortenaneurysmas bestehen bleiben, ist derzeit noch mit einem klaren „Ja“ zu beantworten, wie Herr PD Dr. Kasprzak aus Regensburg ausführte, auch wenn diese durch neue technische Möglichkeiten der EVAR immer mehr eingeschränkt werden, so Dr. Gussmann aus Bad Saarow. Beim penetrierenden Ulkus der Aorta als Bestandteil des akuten Aortensyndroms spielt die endovaskuläre Therapie (EVAR, TEVAR) bereits heute eine überragende Rolle, wie Dr. Gäbel aus Dresden, der diesjährige Gewinner der Reisestipendiums der Ernst-Jeger-Gesellschaft e. V., anhand einer eigenen Serie und der publizierten Daten zeigte [20], [21].

Frau Dr. Schönefeld aus Münster beschäftigte sich schließlich mit der segmental mediolytischen Arteriopathie als Ursache der Entstehung von Aneurysmen und Dissektionen bei unter 60-jährigen Patienten. Der ätiologisch unklare, nicht entzündliche Prozess führt über den segmentalen Verlust der Media zu Gefäßwandlücken. Frau Dr. Schönefeld plädierte für eine Zentrumsbildung mit der gemeinsamen Forschung zum genetischen Screening, zur Klärung einer Assoziation zur Hypertonie und zum Vergleich mit arteriosklerotischen Prozessen.

Das „Forum Junger Gefäßmediziner“ zeigte ausnahmslos sowohl hinsichtlich der Themen als auch der engagierten Redner hochinteressante Beiträge, die eine Bewertung mit Prämierung der drei besten Vorträge (Preise im Wert von je 500 EUR) sehr schwer machten. Das Spektrum reichte von Fallberichten wie der akuten endovaskulären Versorgung eines gedeckt rupturierten Aortenaneurysmas im Abschnitt IV bis zur Analyse der Frage nach der optimalen Therapie juxtarenaler Aortenaneurysmen: Offen, Chimneys oder fenestrierte Prothesen. Dieses für manch einen jungen Kollegen erste Forum eines öffentlichen Vortrags wissenschaftlicher Ergebnisse seiner Arbeit wird, wie auch die Sitzung „News in der Gefäßmedizin“, fester Bestandteil des wissenschaftlichen Programms des GMS in jedem Jahr bleiben.

Neue Therapieverfahren zur Ausschaltung von Varizen (Radiofrequenzablation, Dr. Noppeney, Nürnberg; Schaumsklerosierung, Dr. Sommer, Maastricht; Laserablation, Dr. Wenzel, Leipzig; Sklerosierung und transkutane Radiofrequenzbehandlung, Dr. Klumpp, Berlin) und deren Stellenwert bildeten den Kern der phlebologischen Sitzung, während Herr Dr. Wittens, Aachen/Maastricht, seine überaus positiven Ergebnisse der Rekanalisation thrombotisch verschlossener tiefer Venen vortrug. Herr Prof. Dr. Dorobisz, Wroclaw, berichtete schließlich über die eigene große Erfahrung bei der Ausschaltung venöser Aneurysmata.

Den dritten und letzten Kongresstag eröffnete die Sitzung 6 mit dem etwas provokanten Titel: „Asymptomatische Carotis-Stenose – Pille, Messer oder Stent?“ Es handelt sich dabei um das derzeit am meisten kontrovers diskutierte Thema. Zunächst definierte der Neurologe Prof. Dr. Stingele aus Kiel (jetzt Berlin), was unter einer asymptomatischen Karotisstenose zu verstehen ist und betrachtete anschließend, welche Gründe für eine ausschließlich medikamentöse Therapie sprechen. Es besteht kein Zweifel, dass die heute mögliche, hocheffektive medikamentöse Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern, Statinen und modernen Antihypertensiva und -diabetika eine Senkung des kardiovaskulären und insbesondere des Schlaganfallrisikos bewirkt. Dass das sogenannte „best medical treatment“ der asymptomatischen Karotisstenose jedoch bei Weitem noch nicht der tatsächlichen klinischen Praxis entspricht, konnten Dr. Lutz aus Wittlich und Dr. Gussmann aus Bad Saarow eindeutig zeigen. Mangelnde Kenntnis der Behandler, steigende Kosten, aber auch unzureichende Compliance der Patienten wurden als relevante Faktoren erkannt. Frau Prof. Dr. Alison Halliday, Oxford, stellte die Langzeitdaten der von ihr federführend geleiteten Studie ACST-1 vor, die auf dem höchsten Evidenzniveau (Level 1b) beweisen, dass die Carotisendarteriektomie eine wirksame Prophylaxe eines Schlaganfalls bedeutet. Die Begründung dafür, dass eine ausschließlich medikamentöse Therapie der asymptomatischen Stenose der A. carotis interna (ACI) die beste Schlaganfallprophylaxe und daher eine Intervention nicht indiziert sei, basiert nach der Analyse von Prof. Dr. Halliday auch teilweise auf methodisch kritikwürdigen Studien und erscheint ihrer Meinung nach so nicht haltbar. Aus der aktuellen Situation leitete sie die Notwendigkeit der ACST-2-Studie ab, die die Endarteriektomie mit dem Stenting bei asymptomatischer Karotisstenose prospektiv-randomisiert vergleicht und sich derzeit noch in der Patientenrekrutierungsphase befindet. Herr PD Dr. Goertler aus Magdeburg stellte unter den Auswahlkriterien zur Operation bei asymptomatischer ACI-Stenose vor allem deren Progredienz und hämodynamisch kritische Stenosen heraus. Das ipsilaterale Schlaganfallrisiko ist bei subtotalem Karotisverschluss höher als erwartet. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind wahrscheinlich sinnvoll. Die Indikationen zum Stenting der A. carotis (CAS) bei asymptomatischer Stenose wurden von Herrn Prof. Dr. Mathias aus Dortmund, dem eigentlichen Pionier auf diesem Gebiet, dargestellt und begründet. Sicher hat dieses Verfahren seinen festen Platz im Therapiespektrum, ist jedoch bei der asymptomatischen Stenose der ACI nicht gleich gut evidenzbasiert wie die Endarteriektomie. Nach Matthias ist die Indikation gegeben bei > 80 % Stenosegrad, kontralateralem Verschluss oder hochgradiger Stenose der ACI, inkomplettem Circulus arteriosus Willisii, erschöpfter zerebraler Reservekapazität, rascher Progression und vor großen Operationen. Für CAS ideal erscheinen Patienten ohne schwere Atheromatose des Aortenbogens, ohne ostiale Stenose der ACI, ohne ulzerierende Arteriosklerose der ACC, ohne grobschollige zirkuläre Verkalkungen der Karotisgabel und mit der Möglichkeit der zerebralen Protektion. Herr Prof. Dr. Eckstein aus München erläuterte die Notwendigkeit und Folgerichtigkeit der prospektiven, randomisierten, multizentrischen und industrieunabhängigen dreiarmigen (optimale medikamentöse Therapie [OMT] vs. Karotisendarteriektomie + OMT vs. Stenting + OMT) Space-II-Studie. Konkret sprach er darüber, warum sich die Rekrutierung von Patienten für diese Studie so schwierig gestaltet. Seiner Meinung nach ist die operative und interventionelle Therapie der asymptomatischen Karotisstenose bereits derart fest in der „real-life-medicine“ etabliert, dass diese Entwicklung kaum noch durch die Ergebnisse einer solchen Studie reversibel erscheint.

Mit der therapeutischen Konsequenz bei asymptomatischer Rezidivstenose der A. carotis nach Operation oder Stenting beschäftigte sich Frau Dr. Rantner aus Innsbruck. Sie verwies auf den relativ „benignen“ Charakter der Restenose, die nach Stenting bisher häufiger als nach Operation auftritt. Bei der Diagnostik mittels farbcodierter Doppler-Sonografie gelten spezifische Kriterien für die Restenose nach Stenting.

Den Abschluss bildete eine Sitzung über Qualität und Patientensicherheit in der Gefäßmedizin. Wer glaubte, die Ränge würden sich dabei rasch lichten, sah sich eines Besseren belehrt. Neben einer Vorstellung der Ziele, Organisationsform und erster Ergebnisse von CIRS (Dr. Fellmann, Berlin), IQM (Prof. Dr. Kuhlen, Berlin) und AQUA (Prof. Dr. Stork, Karlsruhe) lieferten Univ.-Prof. Dr. Eckstein, München, und Dr. Gussmann, Bad Saarow, Belege dafür, dass zwar nicht die Zertifizierung per se, aber die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Gefäßzentren und – bei bestimmten Eingriffen wie der Aortenchirurgie – eine hohe Behandlungsfrequenz im Zentrum die Behandlungsergebnisse verbessern.

Dem Symposium angegliedert waren 6 Workshops und eine Pflegefachtagung sowie 2 Satelliten-Workshops, die sehr gut besucht waren. Damit erfüllte das 26. GMS in bestem Sinne eine der erklärten Aufgaben, nämlich die der zertifizierten Aus- und Weiterbildung [13], [14], [15], [16], die in den kommenden Symposien noch weiter in den Mittelpunkt rücken wird.

Auch publizistisch wird das Symposium mit einem Themenheft 2012 des „Zentralbl Chir“ zu den Highlights eine Aufarbeitung erfahren.

Mit einem Dank an die Industrie und an alle Organisatoren und Helfer, die zum Gelingen des sehr erfolgreichen 26. GMS beigetragen haben, hoffen wir auf zahlreiche Besucher bei unserem 27. GMS in Berlin, das auf vielfältigen Wunsch der Teilnehmer vom 08. bis 10. November 2012 erneut im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in der Friedrichstraße stattfinden wird.