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DOI: 10.1055/s-0032-1314663
„Eine effektive Behandlung ist möglich“
PosttherapiesyndromePublikationsverlauf
Publikationsdatum:
22. Juni 2012 (online)



Dr. med. Peter Holzhauer
Studium der Humanmedizin an der Universität Göttingen, Facharzt für Innere Medizin mit Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren, 1991 bis 2011 Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Veramed-Klinik am Wendelstein, seit August 2011 Chefarzt der Abteilung für Onkologie und Komplementärmedizin des onkologischen Zentrums Oberaudorf – Klinik Bad Trissl. Schwerpunkte: Integration von supportiven komplementärmedizinischen Behandlungsmaßnahmen und konventionellen onkologischen Standardtherapien, Nebenwirkungsmanagement, moderne Ernährungsmedizin und Mikronährstofftherapie. Seit 2004 Herausgeber dieser Zeitschrift und Mitherausgeber der Checkliste Komplementäre Onkologie (Hippokrates; 2010).
DZO: Das Schwerpunktthema lautet in diesem Heft „Posttherapiesyndrome“. Worauf geht dieser Begriff zurück und was ist darunter genau zu verstehen?
Dr. Holzhauer:
Der Begriff Posttherapiesyndrome ist noch nicht genau definiert und hat auch noch
keinen endgültigen Eingang in die klassische medizinische Terminologie gefunden. Ähnlich
verhält es sich mit dem Begriff „Chemobrain“. Das zunehmende Repertoire an medikamentösen
und nicht medikamentösen onkologischen Behandlungsverfahren konfrontiert die Patienten
und die betreuenden Ärzte und Therapeuten mit teilweise neuen und oft ausgeprägten
unerwünschten Arzneimittelwirkungen (adverse effects, Nebenwirkungen), die nicht selten
weit über das eigentliche Therapieende andauern können. Ich denke dabei an die durch
Chemotherapie induzierte Polyneuropathie (CIPN), z. B. nach Platinderivaten und Taxanen,
aber auch nach neueren molekularen Therapien wie Bortezomib, die bei einigen Patienten
über Monate fortbestehen kann und dann zu wesentlichen Einschränkungen der Lebensqualität
führt.
DZO: Was sollte man beachten, wenn man als behandelnder Arzt ein modernes Nebenwirkungsmanagement durchführen möchte? Gibt es Beschwerden, die häufig unterschätzt werden? Und welche Beschwerden treten am häufigsten auf?
Dr. Holzhauer:
Es gibt zahlreiche Untersuchungen zum Umgang mit tumorassoziiertem Fatigue-Syndrom,
die darauf hinweisen, dass die Fatigue-Symptomatik aus Patientensicht nicht deutlich
genug mitgeteilt wird und meistens eher vom onkologischen Pflegepersonal als von den
behandelnden Ärzten wahrgenommen und als behandlungsbedürftig eingeschätzt wird. In
den letzten Jahren hat sich die Sensibilität gegenüber diesem Symptomkomplex dennoch
deutlich geändert. Das sieht man auch an der deutlichen Zunahme der Publikationen
zu supportiven Themen wie Fatigue.
Fatigue wird von den betroffenen Patienten als das häufigste und relevanteste Leitsymptom, noch vor dem Schmerz, eingestuft. Neuropathische Beschwerden als Folge einer neurotoxischen medikamentösen Tumortherapie (CIPN) sind sehr viel offensichtlicher. Man kann die dadurch verursachten Funktionstörungen leichter erkennen und im CTC-System klassifizieren. Leider ist auch hier sowohl das prophylaktische als auch das therapeutische Potenzial sehr überschaubar.
DZO: Welche Therapiemaßnahmen haben sich in der Praxis besonders bewährt? Was sind für Sie erfahrungs- und/oder evidenzbasiert die größten Highlights?
Dr. Holzhauer:
Leider sind Highlights im onkologischen Alltag des Nebenwirkungsmanagements eher die
Seltenheit. Aus meiner langjährigen Erfahrung im Einsatz von komplementären Methoden
hat sich der präventive und therapeutische Einsatz von L-Carnitin, z. B. während Chemotherapie
mit Taxanen, die ja heute sehr intensiv eingesetzt werden, sehr gut bewährt. Leider
ist die immer wieder geforderte Evidenz auf eine kleine Anzahl von Publikation mit
geringen Patientenzahlen begrenzt. Auch die Gabe von Oxaliplatin, oft ja auch im „ambulanten
setting“ beim Kolonkarzinom wird häufig durch ausgeprägte Neurotoxizität kompliziert.
Hier gibt es neben dem Einsatz von L-Carnitin auch gute und sichere Daten für die
Infusion von Calcium und Magnesium vor und nach der Oxaliplatin-Applikation.
Gute aktuelle Daten gibt es zur supportiven Therapie mit Natriumselenit während Strahlentherapie im Beckenbereich bei gynäkologischen Tumoren. Die schon publizierte Erststudie von Mücke et al. [1] wurde im Langzeit-Follow-up von 10 Jahren neu ausgewertet. Hier zeigte sich beim „overall survival“ ein deutlicher Vorteil für die mit Selen zusätzlich zur Strahlentherapie behandelten Patienten. Auch der Schleimhautschutz war hier sehr effektiv. Somit haben wir neben der Gabe von E.-coli-Präparaten, wie Colibiogen®, eine weitere effektive und sichere komplementäre Therapieoption zur Vorbeugung von Schleimhautschäden.
DZO: Viele Patienten haben Angst davor, dass Organe wie Herz, Niere oder Leber durch eine Chemotherapie geschädigt werden könnten. Wie begegnen Sie in der Praxis diesem Problem, und was raten Sie den Patienten?
Dr. Holzhauer:
Aus dem Bereich der komplementären Therapien hat sich die orale oder intravenöse Gabe
von Ornithinaspartat zur Hepatoprotektion bewährt und es gibt auch eine gewisse Evidenz.
Bei häufig eingesetzten Mariendistelpräpaten sollte man an die nicht seltenen Interaktionen
mit zahlreichen Arzneimitteln denken. Für die Kardioprotektion unter Therapie mit
Anthrazyklinen gibt es bezüglich der Gabe von L-Carnitin zahlreiche ältere Publikationen,
die eine effektive Kardioprotektion beschreiben. Auch der zugrunde liegende Mechanismus
ist bis in die molekulare Ebene bekannt. Bei dieser völlig untoxischen und sicheren
Substanz sehe ich eine sehr gute Nutzen/Risiko-Relation. Patienten können L-Carnitin
auch gut hochdosiert, d. h. 2–4 g/tgl. oral einnehmen.
DZO: In den letzten Jahren haben zahlreiche innovative Substanzen das medikamentöse Repertoire der Krebsbehandlung erweitert. Auf welche Nebenwirkungen müssen sich die Betroffenen einstellen und wie können diese gelindert werden?
Dr. Holzhauer:
Die neuen Medikamente, im Wesentlichen verschiedene monoklonale Antikörper wie z. B.
Cetuximab oder Tyrosinkinase-Inhibitoren wie Erlotinib, verursachen häufig akneforme
Hautexantheme (Rash), deren Ausprägung mit dem Ansprechen der Behandlung korreliert.
Hier gibt es mittlerweile sowohl konventionell/dermatologisch als auch komplementär
sehr gute und effektive Supportiva. Im komplementären Bereich arbeite ich sehr häufig
mit der topischen Anwendung von Hanföl, vor allem beim Hand-Fuß-Syndrom, mit OPC-
(Traubenkernen-)Extrakt als Hand- oder Fußbad oder mit Rechts-Regulat, einer Suspension
aus fermentierten Früchten und Nüssen. Diese Maßnahmen sind effektiv und kostengünstig.
DZO: Viele Ärzte raten davon ab, bestimmte Methoden der Komplementärmedizin, hier vor allem Mikronährstoffe, während einer Chemotherapie oder Bestrahlung einzusetzen. Was raten Sie konkret Ihren Patienten? Wie können Vitamine und Spurenelemente während belastender Therapien sinnvoll eingesetzt werden? Gibt es Wechselwirkungen, die man beachten sollte?
Dr. Holzhauer:
Es ist sehr wichtig auf Wechselwirkungen zu achten, wenn man mit Naturstoffen und
Mikronährstoffen arbeitet. Ich gehe mit meinen Patienten alle begleitenden Medikamente
vor einer Chemotherapie und/oder Strahlentherapie durch. Grundsätzlich können Johanniskraut,
Grapefruitsaft, Grüner Tee und zahlreiche andere Naturstoffe in Kombination mit Zytostatika
problematisch sein, da sie über verschiedene pharmakologische Wechselwirkungen die
Effektivität mindern oder auch erhöhen können [Tab. 1].
Wirkstoff |
Interagierender Wirkstoff |
Effekt |
Mechanismus/Ursache |
Etoposid |
Grapefruit(saft) |
Etoposid ↓ |
CYP3A4 Inhibition |
Cyclophosphamid |
Grapefruit(saft) |
Cyclophosphamid ↓ |
CYP3A4 Inhibition |
Cyclophosphamid |
Johanniskraut |
Cyclophosphamid ↑ |
CYP3A4 Induktion |
Irinotecan |
Johanniskraut |
Irinotecan ↓ |
CYP3A4 Induktion |
Irinotecan |
Johanniskraut |
Irinotecan ↓ |
CYP3A4 Induktion |
Bortezomib (Velcade®) |
Grüner Tee |
Bortezomib ↓ |
Reaktion Diol – Boronsäure |
Bortezomib (Velcade®) |
Vitamin C 1g/d |
Bortezomib ↓ |
Interaktion mit Boronsäure |
Bortezomib (Velcade®) |
Johanniskraut |
Bortezomib ↓ |
CYP3A4 Induktion |
Imatinib (Glivec®) |
Johanniskraut |
Imatinib ↓ |
CYP3A4 Induktion |
Imatinib (Glivec®) |
Grapefruitsaft |
Imatinib ↑ |
CYP3A4 Inhibition |
DZO: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?
Dr. Holzhauer:
Ich versuche so oft es geht Sport zu treiben, koche leidenschaftlich gerne im mediterranen
Stil für Freunde und habe eine wunderbare Familie, die mich sehr unterstützt. Natürlich
nehme ich auch zahlreiche Mikronährstoffe wie u. a. L-Carnitin, Selen und Omega-3-Fettsäuren
ein.
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Literatur
- 1 Mücke R, Schomburg L, Glatzel M et al. Multicenter, phase III trial comparing selenium supplementation with observation in gynecologic radiation oncology. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2010; 78: 828-835