Fragestellung: Diagnostische Entscheidungen über Prä-Diabetes oder Diabetes erfolgen heute auf Basis
des gemessenen Blutzuckerspiegels in Bezug auf festgelegte Schwellwerte z.B. entsprechend
der Leitlinien der DDG. Um differenziertere Aussagen über Störungen der Glucose-Insulin-Homöostase
machen zu können, soll untersucht werden, welche Parameter eines entsprechenden mathematischen
Modells aus Messungen identifiziert werden können. Weiterhin soll die Effizienz von
Algorithmen zur Online-Schätzung bewertet werden.
Methodik: Die Messwerte wie z.B. der Plasma-Glukose- und -Insulinspiegel werden an einen modellbasierten
Schätzer gegeben, der daraus online ausgewählte interne Zustände und Parameter eines
mathematischen Modells der Glucose-Insulin-Homöostase ermittelt. Als Modell wird eine
Weiterentwicklung des „Minimal Model“ nach Bergman verwendet.
Es können nicht alle Zustände und Parameter gleichzeitig geschätzt werden. Wir führen
eine Analyse auf Basis der Empirischen Gramschen Beobachtbarkeitsmatrix ein, die es
ermöglicht, im nichtlinearen Modell sowohl die Beobachtbarkeit der Zustände (mit Dynamik)
als auch die Identifizierbarkeit der Parameter (ohne Dynamik) in einheitlicher Weise
quantitativ zu bewerten. Es wird ein Algorithmus vorgeschlagen, um ausgewählte Kombinationen
von Zuständen und Parametern zu finden, die auf Basis der Messung geschätzt werden
können.
Ergebnisse: Zwei Parameter sind von besonderem Interesse für diagnostische Zwecke: die Glukoseeffektivität
SG
charakterisiert die Fähigkeit zum insulinunabhängigen Abbau der Plasma-Glukose, und
die Insulinsensitivität SI
quantifiziert die Wirkung des interstitiellen Insulins auf den Glukoseabbau. Die
Anwendung der Identifizierbarkeitsanalyse auf die Trajektorien des Insulin-Glukose-Systems
während eines intravenösen Glukosetoleranztest zeigt folgende Resultate:
((OL))Wird nur die Plasma-Glukose G(t) wird gemessen, können Plasma-Insulin I(t) und SG
geschätzt werden, nicht aber SI
.
((OL))Wenn Plasma-Insulin I(t) zusätzlich erfasst wird, wird die Identifizierbarkeit deutlich verbessert, so dass
bis zu vier Modellparameter einschließlich SI
geschätzt werden können.
((OL))Die Situation aus Fall 1. kann verbessert werden, wenn eine kontrollierte Menge
von Insulin extern verabreicht wird. Dann sind Parameter des Insulin-Subsystems wie
etwa SI
auch nur aus der Messung der Plasma-Glukose G(t) identifizierbar.
Um die Schätzung online durchzuführen, erweist sich ein symmetrisches Unscented Kalman
Filter (UKF) als der effizienteste Algorithmus.
Schlussfolgerungen: Es kann gezeigt werden, dass z.B. auf Basis eines kontinuierlichen Glukose-Monitoring
(CGM) das Plasma-Insulin I(t) und SG
online geschätzt werden können. Bei kontrollierter externer Dosierung von Insulin
ist darüber hinaus auch eine Schätzung von SI
möglich. Auf diese Weise könnte CGM zukünftig genutzt werden, um diagnostische Parameter
der Glucose-Insulin-Homöostase patientenspezifisch zu erfassen.