Fragestellung: Der Krankheitsverlauf des Diabetes wird entscheidend dadurch bestimmt, ob es dem Patienten gelingt, sein Verhalten den Erfordernissen der Diabetestherapie anzupassen (=Therapieadhärenz). Untersucht wurde die Therapieadhärenz bei depressiven Diabetikern mit unzureichenden Qualität der Stoffwechseleinstellung (HbA1c>7,5%) in einer randomisierten, kontrollierten Multicenterstudie des Kompetenznetz Diabetes.
Methodik: 251 insulinbehandelte, depressive Patienten mit Diabetes (Typ 1/2) wurden entweder mit 50–200mg Sertralin (SER) oder 10 Sitzungen einer diabetesspezifischen kognitiven Gruppenverhaltenstherapie (KVT) behandelt. Nach 12 Wochen wurden die Depressionsresponse (Hamilton Depression Rating Scale, HAMD: Baseline minus 50% oder ≤7) untersucht. Die Therapieadhärenz wurde in beiden Gruppen über die erhaltene „Dosis“ definiert: In der KVT anhand der Anzahl besuchter Sitzungen (0=non-adhärent; 1–7=partiell non-adhärent; 8–10=adhärent). In der SER-Gruppe wurden die Serumkonzentrationen des Sertralins/Desmethylsertralins und gültige Zielbereiche definiert. Blutuntersuchungen erfolgten nach 8 und 12 Wochen. Patienten mit Serumkonzentrationen zu beiden Messzeitpunkten im Zielbereich wurden als adhärent definiert (zu einem Messzeitpunkt=partiell non-adhärent, zu keinem Messzeitpunkt=non-adhärent). Neben einer deskriptiven Beschreibung der Adhärenz wurden Gruppenunterschiede (adhärent vs. partiell oder non-adhärent) hinsichtlich Patientenmerkmale und Therapieresponse mittels t-Tests oder Chi2-Tests untersucht.
Ergebnisse: In der KVT (N=126) wurden 54% (68/126) der Patienten als adhärent, 26,2% (33/126) als partiell non-adhärent und 19,8% (25/126) als non-adhärent eingeordnet. In der SER-Gruppe waren 38,3% der Patienten adhärent (46/120), 28,3% (34/120) partiell non-adhärent und 33,3% (40/120) non-adhärent. Unabhängig von den Behandlungsgruppen hatten zu Behandlungsbeginn non-adhärente Patienten im Vergleich zu adhärente Patienten ein höheres Körpergewicht (Kg: 94,2±26,3 vs. 87,7±21,0; p<0,05), häufiger eine Insulinpumpenbehandlung (N=28 vs. 13; p<0,05), einen höheren HbA1c (9,4±1,6 vs. 9,0±1,3; p<0,05) und häufiger eine „sehr schwere“ Depression (HAMD >25, N=16 vs. 3, p<0,05). Nach 12 Therapiewochen hatten in der SER-Gruppe adhärente im Vergleich zu non-adhärenten Patienten einen signifikant häufigere Depressionsresponse (p<0,05). Dieser Effekt ließ sich in der KVT-Gruppe nicht nachweisen.
Schlussfolgerungen: Obwohl die Patienten der DAD-Studie engmaschig betreut wurden, ist das Ausmaß der Therapieadhärenz auffallend niedrig. Nur etwa die Hälfte der KVT-Patienten kam ausreichend oft zu den Therapiesitzungen und nur ein gutes Drittel der Patienten nahm ihre antidepressive Medikation wie verordnet ein. Während in der KVT-Gruppe die Therapieresponse nicht durch die Therapieadhärenz vorhergesagt werden konnte, ist in der Sertralin-Gruppe ein deutlicher negativer Effekt der unzureichenden Therapieadhärenz erkennbar.