PPH 2012; 18(03): 120
DOI: 10.1055/s-0032-1313728
PPH|Szene
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Blaues, grünes Gold

Fallbereicht

Authors

  • Constantin Bornowski

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Publication Date:
14 May 2012 (online)

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Eine ehemalige geriatrische Klientin von mir mit endogener Depression, Frau K., geboren und aufgewachsen in Ostberlin, wurde vor einem Jahr ambulant vorstellig. Sie klagte damals über „Stimmungsschwankungen“, „chronische Schmerzen“, einem Gefühl der „inneren Leere“, sowie „Konzentrations- und Gedächtnisstörungen“.

Sie ist 75 Jahre, doch Frau K. sieht man ihr Alter trotz jahrzehntelanger Doppelbelastung durch Vollzeitberufstätigkeit und zwei Kindern nicht (mehr) an. Ich schätzte sie auf höchstens 60, würde ich es nicht besser wissen. Geistig und körperlich agil, berichtet sie mir mit glänzenden Augen von ihrem „neuen Lebensgefühl“, „weg von Selbstzweifeln“ und hin zu „neuen Ufern“. Seit Beginn ihres „Ruhestandes“, vor 15 Jahren, habe sich die ehemalige Bibliothekswissenschaftlerin zunächst zunehmend „einsam“ und „isoliert“ gefühlt. Zudem hatte sich auch ihr Ehemann, ebenfalls berenteter Akademiker, dem menschlichen Miteinander fast gänzlich entzogen.

„Nahezu unser gesamter Bekannten- und Freundeskreis war damals zerbrochen. Mein Mann betonte immer öfter, dass er keine Freunde brauche und legte sich mit jedem an.“

Kontakte zu den Kindern ereigneten sich allenfalls sporadisch, häufig gepaart mit unterkühlt zwischenmenschlichen Einsprengseln.

„Ohne meine Psychopharmaka hätte ich mir damals wohl etwas angetan.“

Dann ereignete sich wohl „ein Perspektivenwechsel“, der „Knoten sei geplatzt“: Auf dem Weg zum Einkauf begann Frau K. immer häufiger die achtlos weggeworfenen Pfandflaschen, „die über die Straße rollen oder auf Fenstersimsen stehen“, mitzunehmen („Ein Taler in Ehren…“). Neben dem Leergutautomaten sah Frau K. fast regelmäßig „eine ganze Batterie an diversen Pfandflaschen“, die wohl aus „Bequemlichkeitsgründen“ (Saturiertheit?) einfach stehengelassen wurden. Befragt danach, ob denn ihre Rente nicht ausreiche, betont Frau K.:

„Die Ostrente ist nicht happig, aber darum geht es mir nicht. Ich bin Kriegskind und von zu Hause umweltbewußt erzogen worden und freue mich einfach, wie beim Pilzesammeln, wenn ich von weitem schon das Pfandlogo über dem Strichcode entdecke!“

Den Erlös spenden sie und ihr Mann, mit dem sie sich nun sogar an Wochenenden „Straßentouren“ teile, regelmäßig an soziale Hilfsorganisationen.

Frau K. bemerkt heute an sich eine verbesserte Konzentration. Des Weiteren sei ihr Kurzzeitgedächtnis und die Wahrnehmungsfähigkeit „zuverlässiger“ und „flexibler“. Mitmenschen ihres Kiezes schätzen ihr Engagement schon so hoch, dass sie ihr nicht mehr benötigtes Leergut zurücklegen. Schon so manches tiefgründige Gespräch habe sich daraus entsponnen.

„Es ist so ein gutes Gefühl, wieder unter Menschen zu sein.“

Frau K. trägt im Winter einen dicken Schal, obwohl sie „nur noch selten erkältet“ sei. Als ich sie einmal ein Stück begleite, habe ich Mühe, mit ihr Schritt zu halten.

Heute erscheint es mir zu 100 % überflüssig zu sein, Frau K. hinsichtlich etwaiger Restsymptome von vor einem Jahr zu explorieren, wenn ich ihre Bewegungsfähigkeit miterlebe.