Rofo 2012; 184(6): 565-569
DOI: 10.1055/s-0032-1312756
Leitlinie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Qualifizierungsleitlinie der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) und der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimalinvasive Therapie (DeGIR) zur Durchführung interventionell-radiologischer minimalinvasiver Verfahren an Arterien und Venen

A. Bücker
1   Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
W. Gross-Fengels
2   Asklepiosklinik, Hamburg-Harburg
,
P. Haage
3   Helios-Kliniken, Wuppertal
,
P. Huppert
4   Klinikum Darmstadt
,
J. Fischer
5   Hexenweg 14, Coesfeld
,
P. Landwehr
6   Henriettenstiftung, Hannover
,
R. Loose
7   Klinikum Nürnberg-Nord
,
P. Reimer
8   Klinikum Karlsruhe
,
J. Tacke
9   Klinikum Passau
,
D. Vorwerk
10   Klinikum Ingolstadt
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
23 May 2012 (online)

1. Vorbemerkung

Die Inzidenz degenerativer Gefäßerkrankungen wie der arteriellen Verschlusskrankheit (AVK) nimmt in der Gesellschaft zu und ist mit einer hohen Sterblichkeit und Invalidität verbunden. Die Anzahl der betroffenen Patienten mit einer peripheren AVK (pAVK) beträgt in Deutschland ca. 4 Millionen. Diese Zahl wird aufgrund der Alterung der Gesellschaft und der Zunahme an Diabetikern weiter steigen.

Gefäßmedizin umfasst die gesamtheitliche Versorgung gefäßkranker Patienten durch präventive, konservative, operative und interventionelle Maßnahmen. Aufgrund der Vielschichtigkeit der zugrunde liegenden Erkrankungen, der Begleiterkrankungen und der Vielzahl der möglichen Maßnahmen ist die Gefäßmedizin ein klassisches interdisziplinäres Arbeitsfeld, das nicht durch eine Fachgruppe alleine bearbeitet und allumfassend abgebildet werden kann. Eine interdisziplinäre Versorgung von Gefäßpatienten in zertifizierten Gefäßzentren mit interventioneller Radiologie, internistischer Angiologie und operativer Gefäßchirurgie bietet den bevorzugten Weg, eine optimale Versorgung zu erreichen, wobei dann die gesamte Bandbreite von der konservativen Behandlungsstrategie über Wundtherapie und Diabetologie unter Einschluss interventioneller Verfahren auf hohem Niveau bis zu technisch hochwertiger Gefäßchirurgie angeboten werden kann. Solche Gefäßzentren bieten neben dem Konzept des Mehraugenprinzips zur objektiven Therapieeinschätzung und der fachübergreifenden Anwendung interdisziplinär verabredeter Leitlinien gerade die Möglichkeit zur individuellen hochwertigen Spezialisierung der beteiligten Experten.

Entsprechend der Weiterbildungsordnung (WBO) vertritt das Fachgebiet der Radiologie in diesem Verbund alleine die Durchführung von interventionellen Eingriffen an den Gefäßen außerhalb des Herzens. In den Weiterbildungsrichtlinien werden hierbei Mindestzahlen für diesen Teilabschnitt genannt, die zur Qualifizierung als Radiologe vorausgesetzt werden. Im Interesse einer optimalen Patientenversorgung dürfen diese nicht unterschritten werden.

Eine selbstständige Erbringung von Gefäßeingriffen setzt eine umfassende Erfahrung mit solchen Eingriffen voraus, deren Voraussetzungen in der Folge beschrieben werden. Die Weiterbildungsordnung für das Fach Radiologie fordert dabei neben umfangreichen Kenntnissen in der bildgebenden Gefäßdiagnostik eine Erfahrung mit 250 interventionell-radiologischen Eingriffen, in deren Rahmen die Expertise für vaskuläre Eingriffe erworben werden kann.

Die deutsche Röntgengesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für interventionelle Radiologie und minimalinvasive Therapie (DeGIR) fördern die zusätzliche freiwillige Qualifizierung durch ein gestuftes Fortbildungsprogramm mit dem Erwerb und Nachweis einer besonderen Expertise und Fortbildung auf allen Gebieten der interventionellen Radiologie, aber auch gerade auf dem Gebiet der Gefäßinterventionen (www.degir.de). Das DeGIR- Modul- und Stufenkonzept zur zertifizierten Spezialisierung in interventioneller Radiologie beschreibt die freiwillige Weiterqualifizierung in interventioneller Radiologie zur Erlangung einer besonderen Expertise und zertifiziert diese in zwei Stufen. Die theoretische, curriculäre Qualifizierung erfolgt dabei durch zertifizierte Basis- und Spezialkurse, während die praktische Qualifizierung durch Weiterbildungsermächtigte (nach WBO) erfolgt, die gleichzeitig durch die DeGIR als Ausbilder für bestimmte Interventionsmodule zertifiziert sind.

Interventionelle Verfahren erfordern gleichermaßen wie offene Operationen eine umfassende fachärztliche Ausbildung. Diese umfasst diagnostische wie therapeutische kathetergestützte Eingriffe, eine solide Erfahrung mit bildgebenden Verfahren und ausführliche Kenntnisse im Strahlenschutz, wie sie in der Weiterbildung zum Radiologen gewährleistet sind. Bei der Durchführung peripherer Interventionen sind neben den eigentlichen Katheter-Techniken auch klinische Kenntnisse in der Gefäßmedizin sowie der Indikationen und Ergebnisse operativer Gefäßeingriffe erforderlich.

Anlass zu dieser Qualifizierungsleitlinie ist der andauernde Versuch anderer Fachgebiete, trotz eindeutiger Zuordnung in der Weiterbildungsordnung zum Fachgebiet der Radiologie und geltender rechtlicher Vorgaben, für diese Fachgebiete fachfremde Leistungen aus dem Gebiet der interventionellen Radiologie durchzuführen, ohne hierfür ausreichend weitergebildet zu sein. Dieses vorliegende Dokument repräsentiert die Mindestvoraussetzungen an Wissen und Kenntnissen, die für die Expertise zur selbstverantwortlichen Durchführung interventionell-radiologischer und minimalinvasiver Eingriffe erforderlich sind. Sie beschreibt detailliert die in der Weiterbildungsordnung genannten Anforderungen für die einzelnen Gefäßgebiete; eine Weiterbildung auf dem Gebiet der Radiologie ist hierbei Grundvoraussetzung für eine selbststständige Durchführung von Interventionen gemäß dieser Qualifizierungsleitlinie.

Mindestvoraussetzungen der Weiterbildung sowie zum Erwerb von Erfahrungen und Fähigkeiten für die Diagnostik und Therapie von Gefäßkrankheiten einschließlich arterieller und venöser Erkrankungen werden in dieser Qualifizierungsleitlinie ebenso spezifiziert wie die Mindestanforderungen an Ausbildung, Erfahrung und Fähigkeiten für die Durchführung von peripheren Katheter-Interventionen, einschließlich der diagnostischen Angiografie, der perkutanen transluminalen Angioplastie, der Implantation von Stents und Stentgrafts – auch bei Aortenaneurysmen – sowie der Durchführung von Thrombolysen und Thrombektomien. Die verschiedenen Spezifikationen können auf die meisten praktischen Gegebenheiten angewendet werden. Der Begriff „periphere Gefäßkrankheit“ bezieht sich in diesem Dokument auf Erkrankungen von Arterien und Venen einschließlich der Aorta und ihrer supraaortalen Äste, der extrakraniellen Arteria carotis, der Viszeral- und Nierenarterien, der Extremitätenarterien, extrakardialer Gefäßbypässe sowie der Venen inklusive des Hämodialyseshunts.