Gastroenterologie up2date 2012; 08(03): 177-180
DOI: 10.1055/s-0032-1309738
Klinisch-pathologische Konferenz
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vollständige Lymphknotenaufarbeitung beim Rektumkarzinom (cUICC-II/III-Stadium) durch Aceton-Kompression

Hendrik Andreas Wolff
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Publication Date:
20 September 2012 (online)

Sicht des Radioonkologen

Multimodale Therapie

Patienten mit lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinomen werden heute einer multimodalen Therapie mit den drei Säulen Operation, Radiotherapie und Chemotherapie zugeführt. Ziel ist es, eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit zu erreichen, den Tumor vollständig zu zerstören bzw. zu entfernen und das Risiko von lokoregionären Rezidiven und Fernmetastasen langfristig zu minimieren. In früheren Therapiekonzepten wurde zunächst eine Operation durchgeführt und eine adjuvante Radiochemotherapie angeschlossen.

Lokale Kontrolle. In der CAO/ARO/AIO-94-Studie wurde eine Umstellung der Therapieabfolge in Form einer neoadjuvanten Radiochemotherapie mit nachfolgender Operation getestet [1]. Durch die Umstellung der Therapieabfolge ließ sich die lokale Kontrolle deutlich verbessern. So wurden im Langzeitverlauf nur noch bei 6 % statt zuvor 13 % der Patienten Lokalrezidive festgestellt, zusätzlich sank die Rate an radiogen bedingten Akutreaktionen und Spätfolgen signifikant. Seither besteht die Standardtherapie für Patienten mit lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinomen aus einer neoadjuvanten 5-FU-basierten Radiochemotherapie mit anschließender Operation und adjuvanter Chemotherapie [2].

Gesamtüberleben. Interessanterweise veränderte sich die Gesamtüberlebensrate der Patienten trotz verbesserter lokaler Kontrolle – bedingt durch eine gleichbleibende Inzidenz von Fernmetastasen – nicht. Deshalb ist eine Verbesserung der systemischen Kontrolle aktuell das Ziel zahlreicher prospektiv randomisierter Studien, die verschiedene Therapieformen, wie z. B. intensivierte Radio(chemo)therapieschemata, testen [3] [4].

Die besondere Herausforderung intensivierter Therapieansätze ist es, neben einer maximalen Wirkung auf die Tumorzellen möglichst geringe Nebenwirkungen an den Normalgeweben und Risikoorganen hervorzurufen. Dabei stehen für den Patienten neben dem krankheitsfreien Überleben vor allem therapiebedingte Auswirkungen auf die Lebensqualität im Vordergrund und müssen bei der Festlegung der Behandlungsstrategie maßgeblich bedacht werden.


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Radiotherapie

Die Radiotherapie des Primärtumors inklusive der regionären Lymphknoten ist eine technische Herausforderung. Die Bestrahlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinomen erfordert heute eine hochkomplexe Therapieplanung mit Einsatz von modernen Bildgebungen wie MRT und CT. Der zu behandelnde Bereich umfasst dabei neben der Primärtumorregion auch das regionäre Lymphabflussgebiet im Bereich des Beckens bis zum Übergang der Wirbelkörper L5 zu S1. Neben der theoretischen hochpräzisen Bestrahlungsplanung stellen diese komplexen und für jeden Patienten unterschiedlichen Zielvolumina auch eine hohe Anforderung an die tägliche Lagerung des Patienten über einen Behandlungszeitraum von 6 Wochen dar.

Hilfsmittel für die Lagerung. Um eine solche präzise und reproduzierbare Lagerung zu ermöglichen, kommen technische Hilfsmittel, wie z. B. das „Göttinger Doppellochbrett“, zum Einsatz (Abb. [1]) [5]. Durch diese Lagerungshilfe wird ein Großteil des Dünndarms während jeder einzelnen Therapiefraktion mechanisch aus dem Bestrahlungsgebiet verlagert. Durch diese einfache Maßnahme ließ sich die Anzahl der Patienten mit klinisch relevanter Diarrhö deutlich verringern. Bei männlichen Patienten wird durch das zweite Loch zusätzlich der Hoden aus dem Hochdosisbereich verlagert. Auch hier konnte bereits nachgewiesen werden, dass es so zu einer deutlich reduzierten Belastung mit geringeren Auswirkungen auf die langfristige Hormonproduktion der Patienten kommt [6].

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Abb. 1 „Göttinger Doppellochbrett“ für die Lagerung des Patienten während der Bestrahlung in Bauchlage. a Die Aussparungen für Dünndarm und Hoden dienen zur mechanischen Verlagerung dieser Risikoorgane aus dem Behandlungsvolumen. b Die 3D-Rekonstruktion aus einem Planungs-CT verdeutlicht die Lage des Patienten und die Auswirkung der Lagerungshilfe. Die gelben Strukturen stellen beispielhaft das Zielvolumen mit zwei Einstrahlrichtungen dar.

Markierung des unteren Tumorrandes. Um den ebenso sensiblen Schließmuskelapparat zu schonen, ist eine genaue Definition des distalen Tumorrandes unabdingbar. Dies gilt insbesondere, da ein Sicherheitsabstand von 5 cm nach kaudal eingehalten werden muss, um Lokalrezidive zu vermeiden. Liegt der Tumor eines Patienten nun mehr als 5 cm kranial des Sphinkters, kann es aufgrund variabler Rektumfüllung zu einer ungenauen Definition des Zielvolumens und somit zu vermeidbaren akuten und langfristigen Nebenwirkungen kommen. Dieses Problem konnte durch die Implantation von Goldmarkern im Bereich des unteren Tumorrandes per Rektoskopie gelöst werden [7]. Auf diese Weise wird eine hochpräzise, von der Rektumfüllung unabhängige Definition des Zielvolumens erreicht, die im für die Bestrahlung notwendigen Planungs-CT eindeutig zu definieren ist. Zusätzlich wird die Tumorregion selbst anhand von Kontrollaufnahmen vor jeder Behandlung lokalisierbar. Auf diese Weise gelingt es häufiger, sensible Risikostrukturen optimal zu schonen, ohne dabei Kompromisse bei der Behandlung von Tumor und Lymphabflussgebiet eingehen zu müssen.

Neue Bestrahlungstechniken. Abschließend trägt auch der rasante technische Fortschritt zu einer permanenten Verbesserung der Strahlentherapie bei. So stehen bereits heute moderne intensitätsmodulierte Rotationsbestrahlungen mit einer im Vergleich zu herkömmlichen 3D-Bestrahlungstechniken präziseren Zielvolumenerfassung und optimierter Schonung der Risikoorgane zur Verfügung.

Zukünftig könnten neue Bestrahlungstechniken, wie z. B. der Einsatz von Protonen, in Kombination mit der Weiterentwicklung von hochauflösenden Bildgebungen wie MRT und PET-CT zur Zielvolumendefinition, zu einer noch höheren Präzision der Therapie mit verbesserter Schonung der Normalgewebe führen (Abb. [2]) [8]. Mögliche Auswirkungen auf das Tumoransprechen und das krankheitsfreie Überleben der Patienten, aber auch auf das Auftreten von Nebenwirkungen bleiben abzuwarten, bieten aber große Chancen auf dem Wege zur individualisierten, auf jeden einzelnen Patienten zugeschnittenen Therapie.

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Abb. 2 Colourwash-Darstellung einer geplanten Dosisverteilung für eine 3D-konformale (3DcRT), eine intensitätsmodulierte (IMRT) und eine Rotationsbestrahlung (RapidArc) sowie für eine Bestrahlung mit Protonen (Protons) zur präoperativen Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinomen. Die Darstellung beinhaltet einen Bereich von 30 – 95 % der geplanten Dosis, wobei Rot eine hohe und Blau eine niedrige Dosis angibt. Es zeigen sich deutliche Unterschiede bezüglich der verschiedenen Einstrahlrichtungen und Dosisverteilungen innerhalb der Risikoorgane sowie in der Präzision der Zielvolumenerfassung im Hochdosisbereich ([8] modifiziert nach Wolff et al. 2012).

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Nebenwirkungen und Ansprechraten

Während einige Patienten bis zum Ende der Therapie praktisch keine akuten Nebenwirkungen entwickeln, kommt es bei anderen schon innerhalb der ersten Behandlungswochen der Radiochemotherapie zu starken Nebenwirkungen, die eine stationäre Aufnahme nach sich ziehen oder sogar zum Abbruch der Therapie führen können.

Individuelles Ansprechen. Vergleichbar zu den unterschiedlich ausgeprägten Nebenwirkungen kommt es bei den Patienten auch zu individuellen Ansprechraten auf die Therapie. So zeigen sich in der histopathologischen Aufarbeitung des Rektumresektates nach Operation bei zuvor gleich behandelten Patienten deutliche Unterschiede bezüglich der erreichten Tumorregression bzw. eine differierende Anzahl an atypischen vitalen Zellen in den aufgearbeiteten Lymphknoten [9]. Die genauen Mechanismen, die diesen unterschiedlichen Reaktionen von Tumor- und Normalgeweben bei vergleichbarer Therapie zugrunde liegen, sind bislang weitestgehend ungeklärt. Als eine mögliche Ursache wird derzeit eine genetisch determinierte inhärente Strahlensensitivität diskutiert, die für eine spezifische Antwort auf eine multimodale Behandlung verantwortlich sein könnte.

Aufarbeitung des Rektumresektates. Bislang fehlen valide Prädiktoren, die eine Vorhersage von möglichen Nebenwirkungen oder Ansprechraten vor der Auswahl einer Therapie für den einzelnen Patienten ermöglichen. Gerade deshalb erscheint eine detaillierte pathologische Aufarbeitung des Rektumresektates als einziger direkter Rückschluss auf die lokale Wirkung auf Tumor-, Lymphknoten- und Normalgewebe als sehr wichtiger Baustein auf dem Weg zur individualisierten Therapie. Im Hinblick auf die Wirkung und Nebenwirkung von intensivierten Therapieschemata steht den behandelnden Ärzten hierdurch eine direkte Information über die Reaktion eines jeden Patienten zur Verfügung und trägt somit zur kurzfristigen Therapiesicherheit und Einstufung des Behandlungserfolges bei.

Lymphknotenstatus. Der Lymphknotenstatus nach neoadjuvanter Radiochemotherapie und Operation ist momentan einer der wichtigsten prognostischen Marker für den weiteren Verlauf der Erkrankung und kann somit langfristig ein Stratifizieren der weiteren Behandlung nach der Operation ermöglichen [10].


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Zusammenfassung

Die neoadjuvante Radiochemotherapie mit nachfolgender Operation und adjuvanter Chemotherapie ist momentan der Goldstandard für die Therapie von Patienten mit lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinomen. Sowohl das Auftreten von therapiebedingten Nebenwirkungen während einer kombinierten Radiochemotherapie als auch das Tumoransprechen unterscheiden sich deutlich. Eine optimale Bestrahlung mit modernen Techniken und innovativen Lagerungshilfen sollte allen Patienten zugänglich gemacht werden, um den Therapieerfolg zu sichern und Nebenwirkungen zu minimieren.

Für die Entwicklung einer individualisierten, auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen Therapie ist die Identifikation von validen Prädiktoren, die eine prätherapeutische Vorhersage über das Tumoransprechen und das Auftreten von therapieassoziierten Nebenwirkungen ermöglichen, unabdingbar. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte eine Aufarbeitung des Rektumresektates jedes Patienten inklusive detaillierter Analyse aller verfügbaren Lymphknoten standardmäßig erfolgen, um eine direkte Überprüfung der lokalen Wirksamkeit verschiedener Behandlungen zu ermöglichen.


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  • Literatur

  • 1 Sauer R, Becker H, Hohenberger W et al. Preoperative versus postoperative chemoradiotherapy for rectal cancer. N Engl J Med 2004; 351: 1731-740
  • 2 Fietkau R, Rodel C, Hohenberger W et al. Rectal cancer delivery of radiotherapy in adequate time and with adequate dose is influenced by treatment center, treatment schedule, and gender and is prognostic parameter for local control: results of study CAO/ARO/AIO-94. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2007; 67: 1008-1019
  • 3 Rödel C, Sauer R. Integration of novel agents into combined-modality treatment for rectal cancer patients. Strahlenther Onkol 2007; 183: 227-235
  • 4 Gerard JP, Azria D, Gourgou-Bourgade S et al. Comparison of two neoadjuvant chemoradiotherapy regimens for locally advanced rectal cancer: results of the phase III trial ACCORD 12/0405-Prodige 2. J Clin Oncol 2010; 28: 1638-1644
  • 5 Vorwerk H, Hermann RM, Christiansen H et al. A special device (double-hole belly board) and optimal radiation technique to reduce testicular radiation exposure in radiotherapy of rectal cancer. Radiother Oncol 2007; 84: 320-327
  • 6 Hermann RM, Henkel K, Christiansen H et al. Testicular dose and hormonal changes after radiotherapy of rectal cancer. Radiother Oncol 2005; 75: 83-88
  • 7 Vorwerk H, Liersch T, Rothe H et al. Gold markers for tumour localisation and target volume delineation in radiotherapy for rectal cancer. Strahlenther Onkol 2009; 185: 127-133
  • 8 Wolff HA, Wagner DM, Conradi LC et al. Irradiation with protons for the individualized treatment of patients with locally advanced rectal cancer: A planning study with clinical implications. Radiother Oncol 2012; 102: 30-37
  • 9 Wolff HA, Gaedcke J, Jung K et al. High-grade acute organ toxicity during preoperative radiochemotherapy as positive predictor for complete histopathologic tumor regression in multimodal treatment of locally advanced rectal cancer. Strahlenther Onkol 2010; 186: 30-35
  • 10 Beresford M, Glynne-Jones R, Richman P et al. The reliability of lymph-node staging in rectal cancer after preoperative chemoradiotherapy. Clin Oncol (R Coll Radiol) 2005; 17: 448-455