Pädiatrie up2date 2013; 08(02): 111-112
DOI: 10.1055/s-0032-1309626
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Zukunft der Kinder- und Jugendmedizin oder „Politik ist nichts anderes als Medicin im Großen“ (Rudolf Virchow, 1896)

Michael Radke
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Publication Date:
07 June 2013 (online)

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Michael Radke

Von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) initiiert, fand Anfang März in Berlin ein Symposium zur Zukunft der Kinder- und Jugendmedizin statt, das sich vorwiegend an Verwaltungsleiter und Geschäftsführer von Klinika mit Kinder- und Jugendabteilungen bzw. eigenständigen Kinderkliniken wandte. Eingeladen waren auch leitende Ärzte aus unterschiedlichen Bereichen unseres Faches.

Wegen der großen Nachfrage mußte kurzfristig ein größerer als der ursprünglich gewählte Tagungsraum gefunden werden. Das Auditorium war bis auf den letzten Platz gefüllt.

Womit hatte dieses große Interesse zu tun? Um es vorweg zu nehmen – alle haben die gleichen Sorgen: Die Geschäftsführer wegen der Erlöse aus den DRG, wegen des Investitionsstaus in den Kliniken und natürlich auch wegen des defizitären ambulanten Sektors in den Kinderkliniken, besonders leiden darunter die Universitätskinderkliniken. Die leitenden Ärzte plagt zusätzlich die Sorge, immer höhere Anforderungen mit stagnierenden oder gar schwindenden (personellen) Ressourcen erfüllen zu sollen und selbstverständlich immer höhere Qualitätskriterien einhalten zu müssen. Mit dem Begriff Ökonomisierung der Medizin sind diese Sorgen sehr schnell zu beschreiben. Die Ökonomisierung schlechthin geht schließlich an der Kinderheilkunde keineswegs spurlos vorbei (s. dazu auch das Editorial von Prof. Huppertz vom März 2013).

Der Begriff „Ökonomisierung“ ist allumfassend und betrifft nun einmal das gesamte Spektrum der Tätigkeit von ärztlichem und Pflegepersonal in Praxis und Klinik. Auf dem Symposium wurden konsequenterweise Schwerpunkte des Prozesses der Ökonomisierung und ihre Auswirkungen auf den jetzigen Stand und die künftige Entwicklung unseres Faches zur Diskussion gestellt.

Wesentlich dabei ist die Qualität von Strukturen, in denen wir heute arbeiten: „Gute Medizin ist nur in guten Strukturen möglich“ – ist sicher ein Credo, das auf allgemeine Zustimmung stößt. Haben wir in Deutschland tatsächlich Strukturen, die unser Fach zukunftssicher machen? Vor diesem Hintergrund sind viele Fragen erlaubt. Eine betrifft die Größe einer Kinderabteilung oder Kinderklinik. Masse ist zwar nicht gleich Klasse, dennoch wird es von vielen Beteiligten als sehr kritisch eingeschätzt, daß es in Deutschland noch vergleichsweise viele sog. kleine Abteilungen für Kinderheilkunde gibt, z. T. mit 30 oder gar weniger als 20 Betten und weit unter 2000 stationären Behandlungsfällen pro Jahr. In den sog. neuen Bundesländern – mittlerweile auch Adoleszenten und der Pubertät entwachsen – ist dies überproportional häufig der Fall. Ohne zukunftssichernde Aufgabenstellungen auch über sektorale Grenzen zwischen stationär und ambulant hinweg oder in der Prävention, werden es kleine Abteilungen mittelfristig sehr schwer haben, sich zukunftssicher aufzustellen.

Erlaubt ist auch die Frage, warum in Deutschland doppelt so viele Perinatalzentren Level 1 existieren (müssen), wie im gesamten restlichen Europa. Daran schließt sich die Frage an, ob wir weiterhin maßgebliche personelle Ressourcen in den Erhalt und den Ausbau dieser Zentren investieren sollten, ohne das große „Restgebiet“ der Kinder- und Jugendmedizin ganz notwendig zu vernachlässigen. Die Stellenausschreibungen für Neonatologen sind ein ernster Hinweis hierauf. Schließlich könnte damit die potentielle Gefahr verbunden sein, daß die sog. „Organfächer“ wegen fehlender Ressourcen in unserem Fach „organspezifische“ medizinische Versorgungsaufgaben bei Kindern erfüllen werden. Braucht es dann noch Neuropädiater, Kinderendokrinologen, Kindergastroenterologen u. a. Spezialisten unseres Faches, wenn wir eine fachlich exzellente medizinische Betreuung entsprechend kranker Kinder aus der Hand geben, da wir sie personell sowieso nicht mehr sicherstellen können? Schon heute fällt es auch in einer größeren Kinderklinik schwer, Ressourcen für die Weiterbildung zur Erlangung von Schwerpunktanerkennungen oder Zusatzbezeichnungen für geeignete Nachwuchskräfte zu akquirieren, ohne auf die Deckungsbeitragsrechnung hingewiesen zu werden.

Nicht nur mit Blick auf die jüngsten Vorgänge in der Transplantationsmedizin (Stichwort „Organspendeskandal“) erhebt sich die Frage, ob in Deutschland – auch aus Gründen der Strukturqualität und der medizinischen Expertise - nicht 3 oder 4 pädiatrische Transplantationszentren etabliert werden können, die sich um die entsprechenden Versorgungs-, Ausbildungs- und notwendigen Forschungsaufgaben im Kindesalter kümmern. Daß eine konzertierte Zentralisierung über Bundesländer hinweg auch und gerade in der Medizin erfolgreich sein kann, zeigt sich im europäischen und außereuropäischen Ausland. Aber auch wir selbst haben in Deutschland gute Erfahrungen mit der Zentralisierung gemacht, z.B. in der Kinderonkologie, Kinderkardiologie und auch in der Kindernephrologie (Stichwort: Nierenersatztherapie).

Es erhebt sich auch hier die Frage, ob es nicht geschickt und klug wäre, Ressourcen und Mittel zu zentralisieren und zu konzentrieren, bevor die „Demografiefalle“ und der schon heute offensichtliche Fachkräftemangel im pflegerischen und ärztlichen Dienst dies ohnehin erzwingen – quasi als die magische Kraft des Faktischen (beim Atomausstieg hat das Faktische jedenfalls atemberaubend schnell gewirkt …!).

Was auf dem Symposium ganz deutlich wurde – und zwar in vielen Referaten und auch in der lebhaften Diskussion auf dieser interessanten Veranstaltung: Wir brauchen sicher nicht auf den „Emotionsfaktor“ krankes Kind zu hoffen, um Hilfestellung bei der Lösung der Probleme einer Kinderklinik als Leistungsträgerin für medizinische Versorgung und Nachwuchsgenerierung zu erheischen – weder von der Politik, noch den Krankenkassen oder anderen „Playern“ im System.

Die Kinder- und Jugendmedizin und alle ihre Gremien, insbesondere die wissenschaftliche Fachgesellschaft DGKJ, der Berufsverband (BVKJD) und – als Dachorganisation – auch die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) sind gut beraten, sich als „Lobbyist“ aktiv in die Diskussion um die Verteilung von Mitteln, die Gestaltung von Strukturen und somit den Erhalt der Attraktivität unseres Faches einzubringen. De facto hat das Symposium gezeigt – wir haben verstanden …

Prof. Dr. med. Michael Radke
Schriftleiter Pädiatrie up2date