Gesundheitswesen 2012; 74(12): e114-e121
DOI: 10.1055/s-0032-1309021
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bringt das Telemonitoring bei chronisch herzinsuffizienten Patienten Verbesserungen in den Nutzen- und Kosteneffekten? – Ein systematischer Review

Does Telemonitoring Lead to Health and Economic Benefits in Patients with Chronic Heart Failure? - A Systematic Review
U. Augustin
1   Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
,
C. Henschke
1   Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
21. Mai 2012 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund:

Die chronische Herzinsuffizienz ist eine in Deutschland sehr häufige, für die Patienten äußerst schwerwiegende sowie für das deutsche Gesundheitssystem überaus kostenintensive Krankheit. Mängel in der bisherigen Standardtherapie sowie die begrenzten finanziellen Kapazitäten des deutschen Gesundheitssystems erfordern neue Versorgungsansätze.

Zielsetzung:

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu den klinischen, ökonomischen und weiteren Effekten des Telemonitorings bei chronisch herzinsuffizienten Patienten im Vergleich zur Standardtherapie zu ermitteln und damit eine Evidenzgrundlage für Entscheidungsträger im deutschen Gesundheitswesen zu schaffen.

Methodik:

Zur Untersuchung der Effekte wurde ein systematischer Review unter Verwendung der Datenbank MEDLINE und dem Zugangsportal PubMed durchgeführt. Es wurden sowohl nationale als auch internationale Studien berücksichtigt. Nach Anwendung der Ein- und Ausschlusskriterien verblieben 10 randomisierte kontrollierte Studien. Hinzugezogen wurden 4 in einer Handrecherche ermittelte Studien sowie die erst kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der nationalen Studie TIM-HF.

Ergebnisse:

Ein evidenter Nachweis der Vorteilhaftigkeit des Telemonitorings gegenüber der Standardtherapie für chronisch herzinsuffiziente Patienten ist auf Basis der Studienergebnisse nicht gegeben. Die nationalen Studien ermittelten einheitlich signifikante (p<0,05) oder zumindest tendenzielle (p<0,1) Verbesserungen in den Endpunkten Lebensqualität und Kosten/-effektivität. Bezüglich des Endpunktes Sterblichkeit konnten zwei Drittel der Studien eine Vorteilhaftigkeit des Telemonitorings nachweisen. Eine signifikant verkürzte Krankenhausverweildauer sowie eine verbesserte Medikationsadhärenz wurden in der Hälfte der Studien ermittelt. Die Analyse der internationalen Studien zeigte ein sehr differentes Ergebnis: Annähernd die Hälfte der Studien ermittelte eine signifikante bzw. tendenzielle Verbesserung in den untersuchten Endpunkten, während die andere Hälfte keine Verbesserungen feststellte. Die Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Studien wird durch die geringe Anzahl an nationalen Studien, die unterschiedliche Ausgestaltung der untersuchten telemonitorischen Betreuungsprogramme, die differente Verteilung der einbezogenen Schweregrade (NYHA-Klassen) der untersuchten Patienten, die Heterogenität der Studienendpunkte sowie die den Endpunkten zugrunde gelegten Ursachen eingeschränkt. In den internationalen Studien zeigte sich zudem die Problematik von teilweise geringen Untersuchungszeiträumen sowie das Fehlen eines Vergleichs zwischen Kosten und Nutzen. Die Übertragbarkeit internationaler Kostengrößen auf das deutsche Gesundheitssystem bleibt fraglich. Auch die Durchführung der Standardversorgung wich in einigen internationalen Studien von der Standardversorgung in Deutschland ab.

Schlussfolgerungen:

Weitere Untersuchungen zu den klinischen, ökonomischen und weiteren Effekten des Telemonitorings im Vergleich zur Standardtherapie sind erforderlich, um einen evidenten Nachweis für die Vorteilhaftigkeit des Telemonitorings zu erbringen. Dieser Nachweis bildet die Grundlage für eine Prüfung zur Aufnahme der Behandlungsform in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Zur Verbesserung der Vergleichbarkeit der Studien sollten einheitliche Telemonitoringprogramme und Studienkriterien entwickelt und angewandt werden.

Abstract

Background:

Chronic heart failure is a severe and common disease combined with high costs for the German health care system. Deficiencies in standard therapy and limited financial capacities of the German health care system necessitate new approaches in the care of chronic heart failure patients.

Aim:

The present study aims to analyse the scientific level of knowledge of clinical, economic and other outcomes of telemonitoring compared with standard therapy for patients with chronic heart failure. Results should provide an evidence base for health-care decision makers.

Method:

To determine the outcomes, a systematic review was carried out by using the database MEDLINE. In accordance with defined inclusion and exclusion criteria, 10 randomized controlled trials remained. Furthermore, 4 studies of a hand research and the recently published results of one of the largest national studies were included.

Results:

As a result of the systematic review, there is currently no evidence for the benefits of telemonitoring compared with standard therapy. National studies identified significant improvements or a tendency for improvements in terms of quality of life and costs/cost-effectiveness as well as partly in mortality, hospital duration and medication adherence. International studies diverged in their results. The comparability and validity of the investigated studies are limited due to a low number of national studies, different settings of the telemonitoring programmes, the inclusion of different NYHA classes, the heterogeneity of study endpoints and endpoint-related causes, short observation periods of some studies as well as questionable transferability of international cost-results to the German health care system. Furthermore, differences in standard therapy between national and international studies were identified. None of the international studies performed a comparison between clinical and economic outcomes.

Conclusion:

With regard to the future prospects of telemonitoring in Germany there is still a need for further high quality studies (particularly on the national level) concerning the clinical, economic and other outcomes of telemonitoring compared with standard therapy. Clear evidence is a sine qua non for telemonitoring’s inclusion in the benefits catalogue of the statutory health insurance. For a better comparability of studies, standardised telemonitoring programmes and study criteria should be developed and applied.

 
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