Handchir Mikrochir Plast Chir 2012; 44 - A24
DOI: 10.1055/s-0032-1308846

Des Kaiser's neue Kleider – Kritische Anmerkungen zur Gestaltung von Mamma-Implantaten

J Reinmüller 1
  • 1Klinik am Sonnenberg, Plastische Chirurgie, Wiesbaden, Deutschland

Implantate sind im Gegensatz zu Transplantaten azellulär bzw. unbelebt, d.h. sie nehmen nicht an der biologischen Dynamik, insbesondere nicht am Stoffwechsel des Bioorganismus teil. Die viel zitierte Biokompatibilität kann daher nur im Sinne von „nicht toxisch“ verstanden werden und nicht etwa als Anpassung an lebendes Gewebe. Unabhängig von der Herkunft des Materials handelt es sich bei Implantaten stets um Fremdkörper im lebenden Gewebe. Die Gestaltung von Implantaten ist wesentlich abhängig von deren Aufgabe. Überwiegend sind dies mechanische Aufgaben. Entsprechend ist die Auswahl der zur Anwendung kommenden Biomaterialien eingeschränkt und die Evaluierung der Tauglichkeit erfolgt in erster Linie unter mechanischen Gesichtspunkten wie Kraftübertragung, Abrieb, Viskoelastizität und Langzeitstabilität.

Mamma-Implantate, deren mechanische Aufgabe es ist, Volumen der weiblichen Brust zu substituieren, sind klassischerweise vom äußeren Design her der Form des Brustdrüsenkörpers nachempfunden, d.h. konzentrisch mit ovalärem Querschnitt. Sie bestehen grundsätzlich aus zwei Komponenten: einer äußeren Hülle und einem Füllstoff im Inneren. Für die äußere Hülle ist Polydimethylsiloxan (DDMS), so genanntes Silikonelastomer, unabdingbar. Für den Füllstoff werden mehrere Lösungen angeboten wie z.B. saline Lösungen, Hydrogele und so genanntes Silikongel, eine Mischung aus freiem und vernetztem Silikonöl.

Die Auseinandersetzung des Bioorganismus mit dem Mamma-Implantat erfolgt primär an dessen Grenzfläche unmittelbar nach der Implantation. Sie erfolgt zunächst auf submikroskopischer Ebene durch Adsorption von löslichen Makromolekülen (run for the surface I), gefolgt von einer Phase der Interaktion mit Zellen der Wundheilung (run for the surface II). Es handelt sich dabei nicht um einen typischen, dem Fremdkörper zuzuordnenden Prozess sondern um eine höchst individuelle Reaktion des Bioorganismus. Entsprechend sind die Resultate der Einheilung höchst individuell und unverstanden. Versuche, auf den Prozess der Implantat-Einheilung durch makroskopische Gestaltung der Oberfläche in Form von Kunststoffschäumen oder Texturen Einfluss zu nehmen, sind bei kritischer Betrachtung als Wunschdenken zu identifizieren: es sind des Kaiser's neue Kleider. Durch die konsequente Verfolgung dieser Illusion wurden die operativen Verfahren in Richtung unangemessene Traumatisierung und irreversible Schädigung der Patienten verschoben. Mit der Einführung der so genannten „anatomischen“ Implantatformen, die der Anatomie der Brustdrüse gerade nicht folgen, hat diese Entwicklung weitere groteske Züge angenommen. Ein weiches, formbares Mamma-Implantat mit der Konsistenz gesunden Drüsengewebes ist ausschließlich dazu bestimmt, Volumen zu substituieren. Die Brustform wird bestimmt durch die Rückstellkräfte des umgebenden Gewebes, insbesondere der Haut. Das Harte zwingt das Weiche in die Form. Wer die Brustform ändern will, muss den äußeren Gewebsmantel um das Implantat operativ verändern oder Platzhalterprothesen aus harten Materialien, skin expander und dergleichen zweckentfremden.

Unter Gesichtpunkten des Marketings sind Implantate mit texturierter Oberfläche und die Gattung „anatomische Implantate“ offensichtlich höchst erfolgreich. Ob diese Entwicklung mit der Erkenntnis in Zusammenhang steht, dass die Mamma-Chirurgie schon längst nicht mehr von den Plastischen Chirurgen dominiert wird, sei dahingestellt.