Gesundheitswesen 2012; 74 - V24
DOI: 10.1055/s-0032-1307288

Welche Rolle spielt die Polio(-überwachung) in Deutschland?

K Neubauer 1, K Beyrer 2, S Böttcher 3, S Diedrich 3
  • 1Geschäftstelle der Nationalen Kommission für die Polioeradikation in Deutschland, Robert Koch-Institut, Berlin
  • 2Niedersächsisches Landesgesundheitsamt, Hannover
  • 3Nationales Referenzlabor für Poliomyelitis und Enteroviren, Robert Koch-Institut, Berlin

Hintergrund: Die globale Polioeradikation unter Führung der WHO wird seit 1988 angestrebt. Seither konnte die Zahl der weltweit registrierten Fälle um 99,5% gesenkt werden; nur noch vier Länder gelten als Endemiegebiete. Obwohl im Jahr 2002 die WHO-Region Europa als poliofrei deklariert wurde, müssen weiterhin die Strategien der Polioeradikation aufrecht erhalten werden, da insbesondere die Gefahr durch importierte Fälle nach wie vor real vorhanden ist (Beispiel: Polioausbruch in Tadschikistan 2010). Die Verantwortlichkeiten für die Polioüberwachung in Deutschland wurden 2010 vom NLGA dem RKI übertragen. Damit verbunden war die Zusammenführung der Überwachung akuter schlaffer Paresen (AFP) und der Enterovirus- (EV) -zirkulation basierend auf der Abklärung von aseptischen Meningitiden/Enzephalitiden (M/E) zur sogenannten EV-Surveillance (EVS) und die Einstellung der klassischen AFP-Surveillance.

Material/Methoden: Es wird allen pädiatrischen und neurologischen Kliniken die kostenlose Untersuchung einer Stuhl- oder Liquorprobe eines M/E- oder AFP-Patienten auf EV angeboten. Die Proben werden mittels PCR, Anzucht und Typisierung analysiert. Es wurde ein bundesweites Netzwerk (LaNED) etabliert, bestehend aus 14 Laboren, die regelmäßig an Ringversuchen teilnehmen.

Ergebnisse: Bislang nahmen ˜47% der Kinderkliniken und ˜12% der neurologischen Abteilungen an der EVS teil. Seit Beginn im Oktober 2005 wurden ˜15.500 Proben untersucht (65% Stuhl + 35% Liquor). Davon waren ˜29% in der EV-PCR positiv, wobei die EV-Nachweisrate im Stuhl der im Liquor deutlich überlegen ist (33,4% vs. 19,6%). Etwa 74% der positiven Proben konnten erfolgreich typisiert werden; >50 verschiedene Serotypen wurden nachgewiesen; Polioviren wurden nicht detektiert. Deutlich zeigt sich das verstärkte Interesse der Kinderkliniken an der EV-Diagnostik: ˜83% der Proben stammen von Kindern.

Die saisonale Verteilung der Einsendungen dokumentiert die klassische Dominanz der EV in den Sommermonaten.

Diskussion: Durch die qualitativ hochwertige EVS kommt Deutschland seiner Verpflichtung gegenüber der WHO nach einem verlässlichen Überwachungssystem zum Nachweis der Poliofreiheit in Deutschland nach. Zudem ist es möglich, Ausbrüche frühzeitig zu erkennen und somit zum Infektionsschutz beizutragen.