Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2012; 19(1): 8-11
DOI: 10.1055/s-0032-1307041
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Brand auf der Fähre MS Lisco Gloria – Zusammenarbeit bei einem schweren Seenotfall

Elisabeth Brunn
1   Abteilung für Innere Medizin, Bundeswehrkrankenhaus Westerstede (Leiter: OTA Dr. Udo Schumann)
,
Andreas Bielstein
2   Leitender Notarzt und Beauftragter der Leitenden Notarztgruppe Kiel für die Verletztenversorgung See
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Publication Date:
20 February 2012 (online)

Militärische und zivile Rettungseinheiten haben gemeinsam schwere Folgen nach dem Brand auf der Autofähre MS Lisco Gloria verhindert. Über die Zusammenarbeit berichten die als erste eingetroffene Marineärztin und der Leitende Notarzt See.

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Abb. 1 Brand auf der MS Lisco Gloria. (Quelle: dpa)

Notfall auf See

Am 9. Oktober 2010 brach kurz nach Mitternacht auf der Autofähre MS Lisco Gloria ein Feuer aus. Die Fähre war rund 5 Seemeilen nordwestlich der Insel Fehmarn auf der Reise von Kiel nach Klaidpeda, Litauen. Ursache des Feuers war vermutlich ein Kurzschluss im Kühlaggregat eines LKW-Trailers. Es breitete sich in sehr kurzer Zeit über das gesamte Fahrzeugdeck aus.

Das Schiff, eine sogenannte Roll-on-Roll-off-Fähre, hatte Kabinen für maximal 600 Passagiere, war 200 m lang, 25 m breit und hatte 6,3 m Tiefgang. Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich auf der Fähre 32 Besatzungsmitglieder und 204 Passagiere. Der Notruf des Kapitäns ging um 0:16 Uhr beim Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen ein. Die Passagiere wurden nach erfolglosen Löschversuchen durch die Besatzung in Rettungsboote und -inseln evakuiert. Die Besatzung gab das Schiff auf.

Wetterbedingungen in dieser Nacht: Luft- und Wassertemperatur circa 12 °C, Dünung circa 1 m, Windgeschwindigkeit 15–20 kn. Das Havariekommando in Cuxhaven übernahm kurz nach Eingehen des Notrufs beim MRCC die Gesamtleitung des Einsatzes. Es alarmierte zahlreiche Einsatzkräfte zur Brandbekämpfung und Versorgung der Verletzten in mehreren Städten.


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Rettungsmaßnahmen

Die Havarie erfolgte in einer viel befahrenen Wasserstraße. Mehrere Schiffe aus der Nähe nahmen deshalb nach dem Notruf Kurs auf die MS Lisco Gloria. Vom militärisch besetzten Rescue Coordination Center (RCC) in Glücksburg flog ein Hubschrauber vom Typ Sea King zum Unglücksort. Als er etwa um 1:20 Uhr eintraf, war es nicht mehr möglich, das Feuer mit Bordmitteln zu bekämpfen. Die Besatzung des Hubschraubers holte einen Passagier mit einem Rettungsnetz durch ein eingeschlagenes Bullauge von der brennenden Fähre. Er hatte den Alarm überhört und die Evakuierung verpasst.

Die übrigen Personen befanden sich alle nicht mehr an Bord. Sie wurden kurz nach der Evakuierung von einem Schiff der Bundespolizei, der Neustrelitz, aufgenommen. Von dort wechselten sie auf die Fähre MS Deutschland, die regelmäßig zwischen der Insel Fehmarn und dem dänischen Hafen Rödby verkehrt.

Der Hubschrauber flog 3 Verletzte direkt zum Marinefliegerhorst in Kiel-Holtenau, wo bereits die Schiffsärztin der Fregatte Rheinland-Pfalz, Dr. Elisabeth Brunn, und zivile Rettungseinheiten eingetroffen waren.

Gegen 3:20 Uhr kam die Schiffsärztin mit dem Hubschrauber zum Unglücksort, wurde abgewinscht und nahm ihre Arbeit auf der Fähre Deutschland auf.


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Bewältigung der Notfallsituation

Bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben halfen die umfangreiche und praxisnahe Ausbildung und das kontinuierliche Üben bei der Marine. Hierbei erwies es sich als großer Vorteil, dass sich die Fregatte Rheinland-Pfalz gerade im Einsatzausbildungsprogramm befand und im Rahmen dessen verschiedene Gefechts- und Notfallsituationen beständig über Monate hinweg trainiert wurden. Dazu gehören das Abwinschen aus einem Hubschrauber – in diesem Fall erstmals mitten in der Nacht auf ein fremdes Schiff – oder die Vorgehensweise beim Absetzen auf eine unbekannte Plattform in einem Seenotfall. Auch auf der Deutschland bestätigte sich, dass es unerlässlich ist, sich zuerst bei der Schiffsführung an Bord zu melden und sich im Schiff nur in Begleitung eines ortskundigen Besatzungsmitglieds zu bewegen. Hilfreich war auch das in den letzten Wochen trainierte Vorgehen bei einem Massenanfall von Verletzten, denn zu diesem Zeitpunkt war nicht bekannt, welche Verletztensituation vorlag.


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